Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
erfolgreich gelungen, diese Tätigkeit vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen. Und jetzt stolperte er ausgerechnet über die Sektion einer schwangeren Hure, mit der er nur seinem Freund hatte helfen wollen?
    Er schnaubte voller Bitterkeit.
    »Ich habe dich in diese Situation gebracht«, sagte Arnulf leise. »Ich werde dich da auch wieder rausholen!«
    Richard rieb sich die Knöchel der linken Hand. »Wie willst du das tun? Willst du Silberschläger in einer stillen Ecke auflauern?«
    Tadelnd schüttelte Arnulf den Kopf. »Was du auch immer von mir denkst!«, beschwerte er sich. »Der Fettwanst hat dich in der Hand, weil er etwas über dich weiß, richtig?«
    Mit zusammengebissenen Zähnen nickte Richard.
    Und Arnulf grinste. »Schön! Dann werde ich dir etwas besorgen, mit dem du ihm das Maul stopfen kannst.«
    »Wie meinst du das?«
    »Gott, bist du blauäugig!«, rief Arnulf aus. »Er droht, dich zu verraten, wenn du nicht machst, was er sagt. Also drohst du im Gegenzug, sein kleines, pikantes Geheimnis preiszugeben, wenn er dich nicht in Ruhe lässt. Ich glaube, beim Schach nennt man das ein Patt.«
    »Und du glaubst, dass er ein kleines, pikantes Geheimnis hat?«, fragte Richard.
    Da lachte Arnulf. »Er ist Bürgermeister, was denkst denn du?«
    Richard war sich nicht so sicher, aber er klammerte sich an den Gedanken, dass Arnulf ihm tatsächlich aus dieser elenden Klemme helfen konnte. »Wie lange brauchst du, um etwas herauszufinden?«
    Arnulf schlenkerte mit dem Bein. »Du musst morgen ins Lochgefängnis gehen, fürchte ich. Bis dahin schaffe ich es nicht.«
    Ergeben schloss Richard die Augen. »Das hatte ich schon befürchtet.«
    Mit einem Ruck sprang Arnulf auf die Füße. »Sei unbesorgt! Ich finde schon was! Spiel du nur morgen das Spiel gut genug mit, damit er keinen Verdacht schöpft.« Er wandte sich zum Gehen.
    »Arnulf?«, sagte Richard.
    Arnulf drehte sich noch einmal um. »Ja?«
    »Danke.«
    Der Nachtrabe winkte ab und verließ das Kontor.
    »Arnulf?«, rief Richard ihn noch einmal zurück.
    Der Nachtrabe drehte sich erneut um. Fragend sah er Richard an.
    »Lass Sibilla in Ruhe, hörst du?«
    Darauf jedoch antwortete Arnulf nicht. Er ging, und er ließ die Tür hinter sich offenstehen.
    Das Feuer, das Lukas in dem großen Herd entzündet hatte, füllte die Küche mit Hitze und Rauch, doch den Doktor schien weder das eine noch das andere zu stören. Mit gerunzelter Stirn, von der der Schweiß in Strömen rann, stand er über seinen Versuchsaufbau gebeugt und rührte in dem tönernen Gefäß herum, das er auf einem Dreifuß mitten in die Glut gestellt hatte. Dabei achtete er sorgfältig darauf, dass der lange Holzstab, den er zum Rühren benutzte, nicht an den Rand oder den Boden des Gefäßes stieß. Aus diesem Grund waren nur das leise Knistern der Glut zu hören und ein gelegentlich seufzerartiges Atmen.
    Der stechende Geruch von kochendem Urin lag in der Luft, kratzte in Lukas’ Kehle und trieb ihm Tränen in die Augen. Er bemühte sich, so gut es ging, den Doktor sein körperliches Unbehagen nicht spüren zu lassen, hustete unterdrückt in die hohle Hand oder räusperte sich so leise wie nur möglich. Darüber hinaus stand er tatenlos herum, schaute zu, wie der Doktor sich ab und an den Schweißvon der Stirn wischte, und wartete darauf, dass er den Befehl für seinen Einsatz erhielt. Wenn der kam, betätigte Lukas den handlichen Blasebalg, den der Doktor ihm gegeben hatte, um damit die Glut etwas heller anzufachen.
    Da er jedoch die längste Zeit zum Zusehen verdammt war und da außer dem sorgsamen Rührvorgang stundenlang nichts anderes geschah, hatte er Zeit, sich den kleinen Mörser aus Messing anzusehen, den der Doktor aus seiner Kiste ausgepackt und neben den kaputten Destillationsapparat auf den Tisch gestellt hatte.
    Auf den oberen Rand des Mörsers war eine Reihe griechischer Worte eingearbeitet. Der Doktor hatte Lukas erklärt, dass es sich dabei um eine Art Gedächtnisstütze handelte, nämlich um die Reihenfolge der Arbeitsschritte bei der Herstellung von Gold. Lukas konnte das Griechische ein wenig lesen, und jetzt kniff er die Augen zusammen und versuchte, das erste der Worte zu entziffern. Melanosis , las er.
    Er hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte.
    »Es heißt Schwarzfärbung!« Die Worte des Doktors drangen so unvermutet in Lukas’ Gedanken, dass er zusammenzuckte.
    »W-was?«, stotterte er.
    Ohne mit dem Rühren aufzuhören, wies der Doktor auf den Mörser.

Weitere Kostenlose Bücher