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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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nun nicht nur der Büttel unter dem Sturz hindurch, sondern mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck baute sich auch der Bürgermeister neben Richard auf.
    »Dann mal los!«, sagte er erwartungsvoll und rieb sich die Hände.
    Richard hätte ihn am liebsten geohrfeigt.
    Dengler führte sie einen Gang entlang, um ein paar Ecken, an denen allesamt düster flackernde Talglichter angebracht waren. Sie ließen die Schatten in Ecken und Winkeln wie lebendig wirken. Bei einer der Zellentüren, die in bogenförmige Türstürze eingepasst waren, konnte Richard ein blasses Gesicht durch das in Augenhöhe angebrachte Guckloch sehen. Brennende Augen, eine schmale Naseund papiertrockene Lippen erkannte er, bevor er weiterging. Der Zelleninsasse stieß ein langgezogenes Heulen aus, das kaum noch etwas Menschliches an sich hatte.
    »Ein Mörder!«, erklärte Silberschläger Richard. »Er hat während des Großen Wahnsinns zehn oder zwölf Männern und Frauen den Schädel eingeschlagen, um an ihre Geldbeutel zu kommen. Wir haben mehr als zwei Dutzend Zeugen, die seine Taten bestätigen.«
    »Warum sitzt er noch hier?« Richard hatte diese Frage nicht stellen wollen, aber sie war ihm einfach entschlüpft. »Wenn Ihr so viele Zeugen habt, hätte er längst hingerichtet sein müssen.«
    Silberschläger zuckte nur die Achseln. »Er hat nicht gestanden, was, wie Ihr vielleicht wisst, die Voraussetzung für seine Hinrichtung ist. Aber das wird sich ja nun bald ändern, denn in wenigen Tagen kommt der neue Henker, den die Stadt eingestellt hat. Er wird dafür sorgen, dass wir an das nötige Geständnis kommen, da bin ich ganz sicher.«
    Richard presste die Lippen zusammen, um nicht die nächste unbedachte Frage zu stellen. Er wollte keine Details mehr hören über die armen Gestalten, die seit Monaten hier unten eingepfercht waren, ohne die Sonne zu sehen, ohne frische Luft oder frisches Wasser, nur versorgt durch den Lochwirt mit oftmals verschimmeltem Brot.
    Sie erreichten zwei Zellen, über deren Türen mit Farbe ein roter Hahn und eine schwarze Katze gemalt waren. Richard zwang sich, der Katze keinen Blick zu schenken. Hinter dieser Tür hatte man damals Katharina gefangengehalten. Er vermeinte Silberschlägers Blicke auf seinem Gesicht zu spüren, als er an der Zelle vorbeiging.
    »Hier ist es.« Dengler nahm sein Schlüsselbund vom Gürtel und wählte einen der Schlüssel aus. Es quietschte gottserbärmlich, als er ihn im Schloss der nächsten Zelle drehte, und auch die Angeln kreischten, als er die Tür nach innen aufstieß.
    »Unter Sebald Groß waren alle Scharniere immer gut geölt«, murmelte Richard. Er starrte Dengler finster an, doch dem schien es völlig gleichgültig zu sein. Verständlich, dachte Richard, denn er war es gewohnt, verflucht und beschimpft zu werden. Ein einfacher böser Blick machte ihm offenbar keine Angst.
    Der Geruch, der ihnen durch die geöffnete Zellentür entgegendrang, sprach von totem Fleisch und von dem dumpfen Aroma nasser Erde.
    »Bitte sehr!« Silberschläger machte eine galante Geste, als fordere er eine Dame auf, vor ihm die Tür zu durchschreiten.
    Richard verfluchte ihn im Stillen. Dann wappnete er sich und betrat die Zelle.
    Es war eine gewöhnliche Gefängniszelle, die sich in nichts von all den anderen hier unten unterschied. Abgesehen vielleicht davon, dass sie von zwei Talglampen erhellt wurde, die auf kleinen Vorsprüngen rechts und links an den Wänden standen. Die Wände selbst und auch der Boden waren mit dunklem Holz verschalt, das sich über Richards Kopf zu einem niedrigen Tonnengewölbe erweiterte. In der Mitte der Zelle lag ein großer Stein mit einem Loch in der Mitte, in dem sich bei diesen Temperaturen gewöhnlich glühende Kohlen befanden. Jetzt jedoch war das Loch leer, denn der derzeitige Bewohner der Zelle brauchte keine Wärme mehr.
    Auf der Pritsche, die die gesamte rückwärtige Wand der Zelle einnahm, lag das Lederbündel, an das Richard noch allzu gute Erinnerungen hatte. Bei dessen Anblick sah er wieder, wie es aus dem Schreingehäuse rollte, er hörte das hässliche Geräusch, das der Körper dabei gemacht hatte.
    Die Luft im Inneren der Zelle war zum Schneiden dick, gefüllt mit dem widerwärtigen Gestank der Verwesung. Von Ferne erklang das Heulen eines der Gefangenen. Jemand schlug mit einem metallischen Gegenstand, wahrscheinlich einem Becher, gegen die Gitterstäbe seiner Zelle. All dies zusammen, der Gestank, die herrschende Düsternis, die vom Flackern der

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