Cherubim
unversehrt, was Richard angesichts der Zerstörungen, die die Ratten am Rest der Leiche angestellt hatten, verwunderte. Gewöhnlich war der Bauch eine bevorzugte Stelle für diese Tiere, wenn sie begannen, eine Leiche aufzufressen.
Richard blickte genauer hin, und dann fiel ihm die dunkle Liniedicht unter den Rippen auf. Ein Schnitt. Er nahm sein Skalpell und führte es zwischen die beiden Wundränder. Die übriggebliebene Haut hatte etwas Ledriges an sich, doch sie ließ sich anheben, und jetzt waren die Bissspuren der Ratten gut zu sehen.
»Sie haben sich von dieser Stelle aus in die Eingeweide gebohrt«, murmelte Richard. Er verspürte Ekel und ließ die Wundränder wieder zusammenfallen. Dann wandte er sich zu Silberschläger um. »Eure Leiche wurde wahrscheinlich erdolcht.« Es bereitete ihm Genugtuung, zu sehen, wie bleich der Bürgermeister und auch seine beiden Begleiter aussahen.
Silberschlägers Kehlkopf ruckte heftig. »Wo ist sein ...« Der Bürgermeister verstummte und deutete auf den Unterleib des Toten.
»Heilige Maria, Mutter Gottes!«, hörte Richard Dengler murmeln. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Lochwirt sich bekreuzigte.
Dort, wo sich zwischen den Beinen des Toten die Schamhaare kräuselten, klaffte ein hässlich aussehendes Loch.
17. Kapitel
Bevor Richard eine Erklärung für das Fehlen des betreffenden Körpergliedes abgeben konnte, hörte er es hinter sich rascheln. Er drehte sich um und sah, wie der Büttel einen kleinen Zettel aus seiner Tasche zog und mit bleichem Gesicht daraufstarrte.
Richard erkannte die auffällig rote Schrift darauf sofort wieder. Es war eine der Streitschriften, die die Frau auf der Straße ihm und Arnulf zugesteckt hatte! Jene Streitschrift, in der die Rede von in Käfigen gehaltenen männlichen Körperteilen war. Beinahe hätte Richard einen lästerlichen Fluch ausgestoßen. Gerade noch rechtzeitig besann er sich, dass dies vielleicht in seiner gegenwärtigen Lage nicht die beste Idee wäre, und er biss sich auf die Zunge.
»Hier«, sagte der Büttel und reichte das Papier Silberschläger. »Hier steht, dass es Zauberer gibt, die einem Mann das ... das Teil weghexen können.« Sein Blick huschte zu der verstümmelten Leiche, und er schauderte sichtbar zusammen.
Dengler, der bis eben nur bleich gewesen war, wurde plötzlich ganz grün im Gesicht.
Richard hob beide Hände. »Es gibt ...« Eine Erklärung für das fehlende Glied , hatte er sagen wollen. Er dachte an die Ratte, die den Finger fortgeschleppt hatte. Doch die drei Männer starrten ihn aus weiten Augen an, und er schwieg. Jede Erklärung, die er hätte abliefern können, wäre in diesem Augenblick auf unfruchtbaren Boden gefallen.
Er ließ die Hände wieder sinken.
Silberschläger, der in der Zwischenzeit das Papier überflogen hatte, reichte es zurück an den Büttel. Seine Miene war von einer Art heiligem Ernst erfüllt, der so übertrieben wirkte, dass Richard den Bürgermeister am liebsten angeschrien hätte, dieses elende Theater endlich sein zu lassen.
Aber noch immer brachte er kein Wort hervor.
Stattdessen sah er zu, wie der Bürgermeister vortrat, sich sein Taschentuch fester über Mund und Nase presste und sich dann über die Leiche beugte. »Was ist denn das hier?«, fragte er durch den Stoff hindurch. Er deutete auf das Gesicht des Toten.
Richard stellten sich die Nackenhaare auf, aber dennoch trat er wieder näher und besah sich die Stelle, die der Bürgermeister meinte.
Der Unterkiefer stand ein wenig offen, so dass eine schmale Lücke zwischen der oberen und der unteren Zahnreihe des Toten klaffte. Hinter den Zähnen glitzerte etwas.
Richard umfasste das Skalpell fester. Dann setzte er es zwischen zwei Eckzähne. Er machte sich darauf gefasst, den Kiefer des Toten aufhebeln zu müssen, aber zu seiner Überraschung öffnete sich der Mund ganz leicht. Der Kiefer klappte nach unten und kam in einer grotesk aussehenden Weise auf der Brust zu liegen.
Auf der Zunge, die nur noch ein verschrumpeltes, dunkelbraunes Stück Fleisch war, lag ein goldenes Medaillon.
Bei seinem Anblick fluchte Richard nun doch.
»Ha!«, machte Silberschläger. »Wusste ich es!« Er nahm das Medaillon an sich, betrachtete es und hielt es dann zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt in die Höhe, so dass alle anderen sehen konnten, was es darstellte.
Richard starrte auf den klaffenden Unterkiefer des Toten, der aussah, als sei der Knochen gebrochen worden.
Dann blickte er auf und heftete den
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