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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Lichter eher verstärkt als erhellt wurde, das Heulen und das Klappern des Bechers schufen in Richard den Eindruck, sich nicht mehr auf Erden zu befinden, sondern in einem Winkel der Hölle, der eigens für ihn geschaffen worden war.
    Mit einer gemessenen Bewegung stellte er seine Tasche auf den Fußboden und blickte auf die Leiche in ihrem Bündel hinab.
    Silberschläger und der Büttel drängten sich hinter ihm in die Zelle hinein, der Lochwirt hingegen zog es vor, unter dem Türsturz stehenzubleiben. Alle drei hatten sie Mund und Nase mit der Handbedeckt, Silberschläger hielt zusätzlich noch ein weißes besticktes Taschentuch in den Fingern.
    Richard hatte keine Ahnung, was genau der Bürgermeister von ihm erwartete. ... den endgültigen Beweis dafür finden, dass die Juden den Toten auf dem Gewissen haben ... So oder so ähnlich hatte Silberschläger sich ausgedrückt. Und wenn Richard ihn richtig verstanden hatte, so sollte der arme Dengler als Zeuge für diesen Fund dienen.
    Mit zusammengepressten Lippen starrte Richard auf das Lederbündel hinab. »Was jetzt?«, fragte er.
    »Nun«, Silberschlägers Stimme klang gedämpft in der feuchten, engen Zelle, »Ihr seid bewandert in der Kunst der Leichenbeschau. Ich bitte Euch im Namen des Stadtrates von Nürnberg, Euch diese Leiche genau anzusehen und mir zu sagen, woran sie Eurer Meinung nach gestorben ist.«
    Richard schluckte. Er hatte genug Erfahrung mit der Sektion von Leichen, um zu wissen, dass eine solche Suche kaum Aussicht auf Erfolg hatte. Nach den langen Wochen der Verwesung würden sie nur mit großem Glück noch Hinweise finden können, die Aufschluss über die Todesursache gaben.
    Zögernd bückte er sich nach seiner Tasche und öffnete sie. Er wusste noch immer nicht, was Silberschläger vorhatte.
    Dengler und der Büttel waren eindeutig als Zeugen hier, soviel war sicher. Silberschläger hatte offenbar vor, ihnen eine Art Spektakel zu bieten, also nahm Richard das größte Skalpell aus seiner Tasche und hielt es prüfend gegen das Licht der einen Talglampe.
    Mit einer gewissen Befriedigung hörte er den Büttel hinter sich aufstöhnen.
    Er trat vor die Leiche hin. Kurz hielt er inne, sandte ein Stoßgebet gen Himmel und wunderte sich über sich selbst, warum er das tat. Dann beugte er sich über die Plane.
    Die Löcher, die die Ratten in das feste Material genagt hatten, gähnten ihm entgegen, und er meinte kurz, in einem von ihnen weiße Nagezähne blitzen zu sehen. Vorsichtshalber schlug er mit der flachen Hand auf die Oberseite des Bündels. Es gab ein dumpfes Geräusch, doch keine Ratte floh ins Freie.
    Richard hob das Skalpell. Er war versucht, tief durchzuatmen, doch angesichts des widerlichen Gestanks, den die Leiche ausströmte, versagte er sich dies. Vorsichtig setzte er das Skalpell auf die Plane und vollführte einen langen Schnitt vom Kopf bis zu den Füßen.
    Das Leder quietschte leise unter seiner Klinge. Wieder stöhnte hinter Richard jemand auf, doch diesmal achtete er nicht darauf, wer es war, sondern konzentrierte sich auf seine Arbeit. Nachdem der Schnitt vollführt war, klappte Richard die beiden Seiten der Plane auseinander.
    »Heiliger Christus!«, stieß Dengler hervor.
    Vor Richard lag ein Körper, der nur noch entfernt etwas Menschliches an sich hatte. Von der Kleidung, die dieser Mann einst getragen hatte, waren nur Reste übrig, ein Stück Kragen, die Bahn eines Mantels, die Schuhe. Alles andere hatten sich offenbar die Ratten geholt. Und Rattenbisse hatten auch das Fleisch von den Knochen gerissen, so dass diese sich bleich und leicht gelblich durch den verbleibenden Rest von Gewebe abzeichneten. Eine Seite des Schädels war komplett skelettiert, die andere von einer bräunlichen, schrumpeligen Hülle überzogen, die Richard erst auf den zweiten Blick als Haut erkannte. Auf dieser Seite waren die Lippen über den makellos weiß schimmernden Zähnen zurückgezogen, was der Gesichtshälfte etwas Verzerrtes gab.
    Ein Arm war ebenfalls vollständig skelettiert, außer dem Finger, den die Ratte gestohlen hatte, fehlten der Leiche noch drei weitere. Mit einem Anflug von medizinischem Interesse betrachtete Richard die ungewöhnlich zierliche Form von Elle und Speiche. Kurz vermutete er, einen Frauenkörper vor sich zu haben, doch dann fiel sein Blick auf den Unterleib der Leiche. Die teilweise freiliegenden Hüftknochen standen eng beieinander. Der Tote war ein Mann gewesen.
    Die Haut, die die Bauchdecke überspannte, war noch

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