Cherubim
als er Richard sah.
»Sterner!«, grüßte er. Dann wandte er sich an den Büttel, einen massigen Kerl mit den roten Wangen eines Kindes. »Ihr wisst, was Ihr zu tun habt!«, sagte er zu ihm, dann kam er die Stufen herunter und gesellte sich zu Richard.
»Guten Morgen!«, grüßte er gut gelaunt. »Habt Ihr eine angenehme Nacht hinter Euch?«
Richard sah keinen Grund, warum er übertrieben freundlich sein sollte. »Angenehmer jedenfalls«, knurrte er, »als ich es nach Eurem Besuch gestern Abend vermutet hätte.«
Der Büttel war in den Hintergrund getreten, wo er schweigend und mit lose am Körper herabhängenden Armen stehenblieb.
Silberschläger lachte laut auf und schlug Richard auf die Schulter. »Ihr gefallt mir, wisst Ihr das? Ihr seid ein zäher Kerl, der tut, was notwendig ist, ohne viel darüber zu jammern.«
Unwillkürlich verkrampfte sich Richards Hand zur Faust. »Schön für Euch!«, brummte er.
»Na, na! Wer wird denn so bärbeißig sein! Ihr seid ein Mann von vielerlei Talenten, Richard Sterner. Ich frage mich schon seit längerem, warum Ihr es vorzieht, Euch aus der Politik herauszuhalten.«
Richard biss sich auf die Zunge und antwortete nicht darauf.
Da lachte Silberschläger erneut. »Ich sehe schon, Ihr haltet die Politik für etwas Verabscheuungswürdiges! Nun, es sei Euch erlaubt!« Er wies auf den Abgang zum Lochgefängnis. »Der Lochwirt ist darüber im Bilde, dass wir kommen.« Er umrundete die hölzerne Wand, die die Gasse vom eigentlichen Niedergang trennte, und klopfte mit der gesamten Faust gegen die massive Tür. »Er ist ein etwas ängstlicher Mann, was unser Vorhaben erleichtern wird. Ratet, wovor er sich am meisten fürchtet?«
Richard kam nicht dazu zu antworten, denn in diesem Augenblick wurde ihnen geöffnet.
»Guten Morgen, Herr Bürgermeister!«, grüßte der Lochwirt ehrerbietig. Dann blickte er Richard an und nickte ihm ebenfalls zu.
»Guten Morgen, Dengler.« Silberschläger schenkte dem Lochwirt ein strahlendes Lächeln. »Das ist der Herr, von dem ich Euch gestern Nachmittag berichtet habe. Jener, der sich die Leiche ansehen wird.«
Gestern Nachmittag? Richard biss die Zähne zusammen. Silberschläger war erst am Abend bei ihm gewesen, aber offenbar hatte er bereits zuvor gewusst, dass dieses Treffen hier heute stattfinden würde.
Rasch schickte Richard einen Gedanken an Arnulf. Hoffentlich beeilte sich der Nachtrabe mit seinen Nachforschungen!
Dengler sah Richard an und verzog das Gesicht. »Sorgt dafür, dass der Bürgermeister ihn endlich unter die Erde bringt«, sagte er missmutig. »Er verpestet mir die gesamte Luft dort unten!«
Richard trat einen Schritt zur Seite. Als ob die Luft in dem engen, feuchten und überbelegten Loch noch groß zu verpesten gewesen wäre, bei all dem Gestank nach Körperausdünstungen, Kot und Urin, den die Gefangenen ausströmten!
»Mein lieber Dengler«, Silberschläger legte dem Mann einen Armum die Schultern. »Ihr wollt doch auch, dass die wahren Schuldigen für diesen Mord gefunden werden?«
Dengler schnaubte. »Natürlich!«, brummelte er. »Wenn all die anderen Kerle hier unten schon nicht verurteilt werden!«
Silberschläger zog den Arm zurück. Auf seinem Gesicht machte sich ein betretener Ausdruck breit, und fast hätte Richard aufgelacht.
Offenbar war dieser Dengler weitaus weniger ängstlich, als der Bürgermeister glaubte! Die Obrigkeit fürchtete er jedenfalls schon einmal nicht.
Richard dachte an den Stiefelputzerjungen Benedikt, den er erst neulich vor seiner Haustür getroffen hatte. Der Junge hatte sich bei Dengler Flöhe eingefangen, und Richard ertappte sich dabei, dass er genau dieses Schicksal auch Silberschläger wünschte.
»So kommt!« Dengler machte den Weg frei, so dass Richard und der Bürgermeister vor ihm die enge und steile Treppe hinabsteigen konnten. »Vorsicht!«, warnte er. »Unten in der Biegung ist die Decke sehr niedrig! Stoßt Euch nicht den Kopf!«
Richard umfasste den Griff seiner Tasche fester, bückte sich unter dem niedrigen Sturz hindurch und richtete sich dahinter wieder auf. Er war recht groß, und so hatte er das Gefühl, sein Hut müsse die niedrige Gewölbedecke streifen. Der Gestank hüllte ihn mit einer Intensität ein, auf die er nicht vorbereitet war. Unwillkürlich schnappte er nach Luft, und es fühlte sich an, als atme er etwas Zähes, Flüssiges ein. Verzweifelt bemühte er sich darum, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, denn hinter ihm bückte sich
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