Cherubim
sie geendet hatte, wanderte Schedel eine Weile nachdenklich in dem engen Raum umher. Marianne kam und brachte ein Tablett mit Gebäck und eine Kanne angewärmter Milch und stellte alles auf das Tischchen. Erst als sie auch noch einen Becher geholt und sich endgültig zurückgezogen hatte, blieb Schedel stehen und richtete den Blick auf Katharina.
»Das ist in der Tat ungewöhnlich. Schwarzer Harn, sagtet ihr? Und ganz plötzlich aufgetreten?«
Katharina schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob er plötzlich auftrat. Er ist plötzlich bemerkt worden, da Kunigunde gewöhnlich kein Nachtgeschirr benutzen darf.«
»Oh.« Schedel überspielte die Befangenheit, die ihn angesichts dieses Themas befiel, indem er Milch aus der Kanne in den Becher goss und ihn Katharina anbot. »Stimmt. Mein Bruder erzählte mir einmal von dieser klösterlichen Regel.« Er schien sie nicht gutzuheißen, denn er rümpfte missbilligend die Nase. »Also schwarzer Harn! Die Gelehrten sind sich darüber einig, dass das ein sehr schlechtes Zeichen ist.«
Katharina trank einen Schluck. Die Milch war mit Honig gesüßt und schmeckte köstlich. »Ich weiß. Darum bin ich ja hier. Ich habe gehofft, Ihr wüsstet eine Heilungsmethode, die mir unbekannt ist.«
»Die Frage, die sich zunächst stellt, ist: Woher rührt der schwarze Harn«, murmelte Schedel. »Habt Ihr eine Harnschau vorgenommen?«
Bei einer Harnschau wurde der Urin in ein bauchiges Gefäß gegossen, das dann gegen das Licht gehalten wurde. Auf diese Weise konnten die Färbung der Ausscheidungen oder auch ihre Trübungen bewertet und damit auf Krankheiten geschlossen werden.
»Nicht mit fachkundigen Mitteln«, gab Katharina zu. »Aber ich habe mir den Harn im Nachttopf angesehen.« Sie beschrieb die Konsistenz und die Farbe der flockigen Eintrübung so genau wie möglich.
»Das spricht gegen Blut«, meinte Schedel. »Was, für sich genommen, vielleicht ein gutes Zeichen ist.« Er hob einen Zeigefinger. »Wartet, ich habe da etwas, das uns vielleicht helfen könnte!«
Er verschwand für einen Augenblick, und als er zurückkehrte, hielt er eine kleine, quadratische Schrift in den Händen, die so dick war, dass sie mit ihren hölzernen Deckeln und der Messingschließe an der Oberseite eher wie ein Kästchen und nicht wie ein Buch aussah.
Mit dieser Schrift ging er zu Katharina und legte sie ihr auf den Schoß. »Es ist die Kopie eines Textes, der ursprünglich in Konstantinopelentstanden ist. Sein Autor ist ein Mann namens Johannes Aktuarius.«
Auf einen Wink Schedels schlug Katharina den vorderen Deckel des Werkes auf. Sie musste ihn festhalten, denn die gesamte Schrift war so dick, dass sie den Deckel nicht auf ihren Knien ablegen konnte. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie die in feiner Handschrift verfasste erste Seite. Sie war in Griechisch geschrieben.
»Ich bin des Griechischen nicht mächtig«, sagte sie.
»Macht nichts! Blättert nur ruhig weiter! Ich habe ein paar Papierstreifen hineingelegt an Stellen, die mir lesenswert erschienen. Ich glaube, die siebte und achte müsste es sein, die sich mit dem schwarzen Harn beschäftigt.«
Katharina fuhr mit dem Fingernagel über die schmalen Streifen, die wie kleine Zungen zwischen den Pergamentseiten hervorragten. Sie zählte sechs davon ab, und dort, wo der siebte steckte, schlug sie das Buch auf. Die bezeichnete Stelle befand sich im vorderen Drittel, und Katharina musste nun nicht nur den hölzernen Deckel halten, sondern auch den umgeschlagenen Teil des Werkes. Gespannt studierte sie die aufgeschlagene Seite. Jemand – sie vermutete, Schedel selbst – hatte zwischen die griechischen Zeilen lateinische Worte geschrieben. Rasch überflog sie die ersten.
»Ego nimirum memini vidisse urinam nigram ...« Sie schaute auf.
Schedel grinste fröhlich. » Ich erinnere mich daran, einen schwarzen Urin gesehen zu haben ... Das habe ich vor noch gar nicht langer Zeit übersetzt.« Er wies auf das Buch. »Lest weiter!«
Und Katharina las. Es war von Schmerzen zwischen den Nieren die Rede und von Kälte, die die Symptome verstärkte. Sie blickte auf. Kälte. War das Wetter der Grund für die rasche Verschlechterung von Kunigundes Zustand?
Schedel grinste noch immer. Ihm war anzusehen, wie sehr er es genoss, Katharina beim Lesen und beim Nachdenken zuzusehen. »Weiter!«, forderte er. »Weiter!«
Und Katharina las weiter.
Und dann ruckte ihr Kopf voller Erstaunen hoch. Ihr Blick war über ein sehr vertrautes Wort
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