Cherubim
geglitten.
Melancholia.
Schedel lachte leise. »Das kommt Euch vertraut vor, nicht wahr?«
Katharina nickte. Dann konzentrierte sie sich auf die lateinischen Worte. »... tam enim species melancholiarum, quam quartana febris terminans, urina nigra apparente celerrime solvuntur ... sowohl die Melancholia als auch das ... was soll das heißen, das ausklingende Quartanfieber? Was ist das?« Sie wartete Schedels Antwort nicht ab, sondern übersetzte zu Ende: »... das Quartanfieber sind nach Auftreten des schwarzen Urins sehr rasch beendet . Was ist Quartanfieber?«
Schedel zuckte die Achseln, aber es schien ihn nicht zu kümmern, dass er es nicht wusste. »Der Autor glaubt, dass schwarzer Harn und die Krankheit der melancholia zusammenhängen.«
Katharina dachte eine Weile über diese Verbindung nach, und sie erschien ihr durchaus plausibel. Die melancholia wurde durch einen übermäßigen Anteil schwarzer Galle im Blut verursacht. Was, wenn die Gallenkonzentration im Blut allzu hoch wurde? Konnte es nicht sein, dass sie dann in den menschlichen Urin überging?
Bedeutete das im Umkehrschluss, dass sie selbst noch gar nicht unter der schlimmsten Form der melancholia litt, dass es sogar noch schlimmer werden konnte?
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Priorin unter der melancholia leidet«, sagte sie zögerlich. Und in Gedanken klammerte sie sich an diesen einen Satz.
Die melancholia war nach Auftreten des schwarzen Urins rasch beendet.
Konnte es sein, dass es ein Heilmittel gegen die melancholia gab? Sie spürte, wie eine tiefgreifende Erregung sie packte und nicht wieder losließ.
Schedel schien ihr die Gedanken an der Nasenspitze ablesen zu können. »Ich kenne mich mit diesen Dingen nicht sehr gut aus«, sagte er. »Aber ich weiß jemanden, der uns vielleicht weiterhelfen kann. Wenn Ihr etwas Zeit habt, lasse ich Marianne nach ihm schicken.«
Der von Schedel angekündigte Gast kam kaum eine halbe Stunde später. Eine halbe Stunde, die Schedel dazu nutzte, Katharina inseine persönliche Studierstube zu bitten und Marianne den Befehl zu geben, das Tablett hinterherzubringen. Die Dienstmagd sah jetzt regelrecht erleichtert aus, Katharina höflich behandelt zu haben. Sie warf ihr einen neugierigen Blick zu, um zu ergründen, wen sie denn nun eigentlich vor sich hatte, aber als Katharina ihr zulächelte, senkte sie schüchtern die Lider.
Katharina und der Doktor verbrachten die Wartezeit mit Geplauder über harmlosere Unpässlichkeiten wie Erkältungen und verstauchte Glieder, und Katharina fühlte sich in Gegenwart Schedels überaus wohl. Es war angenehm, mit jemandem zu reden, der ihr Wissen teilte und es in vielerlei Hinsicht auch übertraf. Sie fühlte sich angeregt und entspannt, und sie ertappte sich dabei, dass sie sich wünschte, dieser Zustand möge anhalten.
Als Marianne dann kam und den neuen Gast ankündigte, bedauerte sie es fast ein wenig.
Schedel ließ bitten, und der Dienstmagd folgte ein Mann in das Zimmer, bei dessen Anblick Katharina überrascht die Augenbrauen runzelte. Er mochte zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein und trug Kleidung, die so gar nicht in Schedels vornehme und teuer eingerichtete Studierstube zu passen schien. Seine Beinkleider und auch sein Gewand waren aus grobem Stoff, der mehrere Flicken aufwies, und die Schuhe, die er trug, hatten schiefgetretene Absätze. Seine Haare waren schütter, und sie standen ihm wirr vom Kopf ab, als er beim Eintreten seinen schlichten schwarzen Hut abnahm. Doch ebenso wie Schedel hatte dieser Mann einen wachen Blick, der flink umherflitzte und Katharina mit solcher Intensität abtastete, dass sie sich vorkam wie in einem hochnotpeinlichen Verhör. Doch dann lächelte der Mann so breit, dass er fast ein bisschen kindisch wirkte. »Oh!«, sagte er fröhlich. »Angenehme Gesellschaft! Wie komme ich zu dieser Ehre, Hartmann?«
Hartmann Schedel trat dem Mann entgegen, und sie umarmten sich wie sehr alte Freunde. »Das ist Katharina Jacob, Wilhelm. Ich habe dir bereits von ihr erzählt.«
Die Augen des Mannes begannen zu glitzern. »So jung ist sie? Als du mir gesagt hast, was sie alles vermag, dachte ich, sie müsste eine alte Vettel sein.«
Katharina mühte sich vergeblich, nicht die Miene zu verziehen ob der Ehrlichkeit, mit der dieser seltsame Kauz sprach.
Der sah es und lachte laut. »Nichts für ungut, meine Liebe! Sollte ja ein Kompliment sein, und ich muss sagen, Ihr habt es mehr als verdient mit Eurem hübschen Näschen!
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