Cherubim
Menschen wiegeln sich gegenseitig auf. Es scheinen schlechte Zeiten für die Juden bevorzustehen.«
»Dann lasst uns doch besser über erfreuliche Dinge reden.« Kunigunde lehnte sich zurück. Der Stuhl, auf dem sie saß, knarzte leise.»Ich hege die Hoffnung, dass Ihr hier seid, um mir Eure Entscheidung mitzuteilen.«
Katharina hielt kurz den Atem an. Dann sog sie die Lungen so voll, wie es ging. Langsam nickte sie.
Über Kunigundes Gesicht, das noch eben hoffnungsvoll gelächelt hatte, huschte ein erster Schatten. »Tretet Ihr ins Kloster ein, oder nicht?«
»Ich ...« Katharina wusste nicht, was sie sagen sollte. Eigentlich war sie gekommen, um Kunigunde von Egbert zu erzählen und ihr zu sagen, dass sie nicht ins Kloster eintreten konnte. Doch seit ihrem Gespräch mit Bruder Johannes vorhin stellte sich ihr die Frage, ob das Kloster nicht vielleicht doch der bessere Weg für sie wäre.
Richard war ihr verwehrt, so oder so.
Und die Vorstellung, den Rest ihres Lebens mit Egbert zu verbringen, war ihr so zuwider, dass sie an dieser Stelle beinahe ja gesagt hätte. Doch etwas hielt sie davon ab. Hilflos hob sie die Schultern. »Ich brauche noch ein wenig mehr Zeit zum Überlegen«, rettete sie sich.
Kunigunde sah sie schweigend an. Katharina kam sich vor, als tasteten die Blicke der Priorin ihr bis in die tiefsten Tiefen der Seele.
»Ich hatte gehofft, dass Ihr gekommen seid, um ja zu sagen«, meinte sie schließlich leise. Sie sah enttäuscht aus. »Mein ganzes Leben lang habe ich mir vorgestellt, wie es sein mag, eine Tochter zu haben. Und zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, in Euch so etwas wie einen Ersatz gefunden zu haben.« Sie streckte eine Hand aus, als wolle sie sie Katharina reichen, doch der Abstand zwischen ihnen war zu groß. Selbst, wenn Katharina sich vorgebeugt hätte, hätte sie die Finger der Priorin nicht berühren können.
Sie war seltsam froh darüber. Kunigundes Worte schufen in ihr ein eigenartig starkes Gefühl von Abwehr. Langsam erhob sie sich. »Gebt mir noch ein wenig Zeit!«, bat sie.
Kunigunde nickte. »Natürlich.« Dann lächelte sie. Es sah traurig aus.
Als Katharina das Kloster verließ, bemerkte sie, dass es angefangen hatte zu nieseln. Die klirrende Kälte der letzten Zeit hatte sich inklammes, feuchtes Schmuddelwetter verwandelt, das fürchterlich auf das Gemüt drückte. Seufzend machte Katharina sich auf den Weg zum Fischerhaus.
Sie war kaum ein paar Schritte weit gekommen, als sie hinter sich jemanden nach ihr rufen hörte.
»Frau Jacob! Bitte wartet auf mich!«
Sie wandte sich um und sah Wilhelm von Hohenheim hinter ihr hereilen. Seine vernachlässigte, geflickte Kleidung schlackerte ihm um Arme und Beine, als er losrannte, und als er vor ihr stehenblieb, atmete er schwer. »Gut ...«, setzte er keuchend an und musste innehalten, um Luft zu holen. »Gut, dass ich Euch treffe! Ich wollte Euch schon aufsuchen, und Euch berichten, dass es Schedel und mir gelungen ist, eine Anhörung vor dem Stadtrat zu bekommen. Wir werden Euren Vorschlag mit den Abtrittgruben vorbringen, in der Hoffnung, dass wir Gehör finden!« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, bei der Katharina zum ersten Mal auffiel, dass er leicht schielte. Die Pupille in seinem rechten Auge war unscharf, der Übergang zwischen ihr und der farbigen Iris wirkte verwaschen.
»Was ist, wenn Ihr kein Gehör findet?«, fragte Katharina und zog ihren Kragen enger, weil der Regen begann, ihr den Nacken hinabzulaufen.
»Dann, fürchte ich, ist unser Versuch gescheitert. Ich muss irgendwann in der nächsten Zeit nach Einsiedeln zurück. Meine Frau wartet schon sehnsüchtig auf die neuesten Erkenntnisse, die ich von hier mitbringe.« Er zog den Kopf zwischen die Schultern, als wolle er sich für das Gesagte entschuldigen. Mit einem kindlichen Grinsen meinte er: »Ekelig, nicht wahr?«
Katharina zuckte die Achseln. Dann kam ihr eine Idee. »Darf ich Euch eine Frage stellen?«
»Selbstverständlich.« Hohenheim schloss sich ihr an, und Seite an Seite setzten sie ihren Weg fort. »Geht es noch einmal um Euren Fall mit dem Schwarzharn?«
Katharina schüttelte den Kopf. »Ich habe tatsächlich einen Bruder der Priorin gefunden, und er leidet seit vielen Jahren an dem Schwarzharn, ohne dass es ihn in irgendeiner Weise beinträchtigt.«
»Wie überaus ungewöhnlich!«, murmelte Hohenheim. »Ich würde mir diese Fälle gerne einmal persönlich ansehen.«
Sie erreichten einen kleinen Platz, auf dem ein paar
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