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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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überhaupt schaffte, die Füße aus dem Bett zu schwingen. Während Egbert und Lukas den ganzen langen Tag über wieder und wieder versuchten, den gelungenen Versuch nachzuvollziehen und so genau wie möglich niederzuschreiben, hatte Raphael sich im Fischerhaus eingerichtet. Egbert weigerte sich nach wie vor, ihn gehen zu lassen, und er achtete peinlich genau darauf, dass der Abtrittanbieter jeden noch so winzigen Tropfen seines kostbaren Harns bei ihm ablieferte.
    Damit Raphael die Zeit nicht zu lang wurde, hatte er begonnen, das Fischerhaus auf Vordermann zu bringen. Er hatte kaputte Fensterrahmen ausgetauscht, die knarrenden Bodendielen im Flur hochgenommen und abgeschliffen. Und er hatte mit Egberts Geld ein paar der nötigsten Möbel gekauft – unter anderem Betten für Katharina, Mechthild und Lukas. Er selbst war nach deren Lieferung in das Dienstmädchenzimmer gezogen, dass vorher Lukas bewohnt hatte.
    Katharina hatte das Gefühl, dass der Abtrittanbieter froh darüber war, nicht mehr mit seinen ekelhaften Eimern durch die Gegend laufen zu müssen. Und der Lohn, den Egbert ihm für sein Bleiben zahlte, war darüber hinaus recht fürstlich.
    Am Vortag dann hatten Lukas und Raphael Katharina geholfen,ihre Mutter aus dem Henkershaus zu holen und es ihr in einem der Zimmer im Erdgeschoss des Fischerhauses gemütlich zu machen. Mechthild hatte sich unbändig darüber gefreut, Egbert wiederzusehen, aber nachdem sie ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte sich diese Freude schnell gewandelt. Jedesmal, wenn Katharina ihr nun ins Gesicht sah, erkannte sie, dass auch Mechthild sich in Egberts Gegenwart überaus unbehaglich fühlte.
    Die ganzen zwei Tage über war Katharina klar gewesen, dass sie zu Richard zurückkehren, dass sie ihm endlich die Wahrheit sagen musste. Einmal hatte sie es sogar bis vor seine Haustür geschafft, aber weder ihn noch seinen Diener Thomas zu Hause angetroffen. Danach hatte sie für einen zweiten Versuch keine Kraft mehr gehabt. Sie wusste, dass, wenn sie Richard erneut gegenübertrat, all die Stärke, die sie so mühsam in sich zusammengeklaubt hatte, wie Wasser aus ihr herausrinnen würde. Sie würde dann nicht mehr fortgehen aus Richards Haus, würde zur Ehebrecherin werden und auch noch den letzten Rest der unsterblichen Seele, die sie vielleicht noch in sich hatte, aufs Spiel setzen. Also schob sie die Entscheidung darüber, was mit ihr und Richard geschehen sollte, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag vor sich her.
    Es war ein Sonntag, an dem sie endlich die Kraft fand, mit Kunigunde zumindest einem Menschen, der noch auf eine Entscheidung von ihr wartete, aufzusuchen und ihm reinen Wein einzuschenken. Kurz vor Mittag, die Morgenmesse war gerade vorbei und die letzten Menschen aus der Kirche geströmt, stand sie vor dem Katharinenkloster. Im ersten Moment wollte sie sich dem Torhäuschen zuwenden und dort klopfen, doch dann entschied sie sich anders.
    Die Türen der Kirche standen noch einladend offen, und so betrat sie das weihrauchgeschwängerte Innere mit zögernden Schritten.
    Hier war es gewesen, wo Maria – Mirjam – endgültig ihren Verstand verloren hatte. Katharina blickte auf den verzierten Lettner und schluckte. Ein paar letzte Nonnen knieten noch im Chorgestühl und sprachen ihre Gebete. Ein junger Mann in der Kleidung eines Messdieners war damit beschäftigt, die Altargeräte sorgsam fortzuräumen und die übriggebliebenen Hostien in eine schlichte, nur mit einem Strahlenkranz verzierte Monstranz zu legen. Eine alte Frauhockte in der letzten Kirchenbank und ließ einen Rosenkranz durch die Finger gleiten. Als sie Katharinas Schritte auf dem steinernen Kirchenboden hörte, blickte sie auf und lächelte.
    Katharina lächelte zurück. Sie hatte in den letzten Tagen wieder gelernt, die Mundwinkel so nach oben zu ziehen, dass die Menschen ringsherum nicht merkten, wie düster es in ihr wirklich aussah. Früher, dachte sie, kurz nach Egberts Tod war sie schon einmal Meisterin darin gewesen.
    Egberts Tod!
    Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Was war sie nur für ein undankbares, schreckliches Weib? Statt ein Dankgebet zu sprechen und sich zu freuen darüber, dass ihr Mann wieder da, dass sein Tod nur ein großer Irrtum gewesen war, begann sie seinetwegen hier zu heulen! Sie rutschte in eine der Bänke und faltete die Hände zum Gebet. Aber die passenden Worte wollten ihr einfach nicht über die Lippen kommen.
    Vorne im Chor ertönten Schritte, durchquerten die

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