Cherubim
Bauersfrauen auf einfachen Tischen aus Holz ihre Waren aufgebaut hatten. Die meisten von ihnen wirkten missmutig ob des hässlichen Wetters, nur eine blickte jeden Vorbeikommenden freundlich und mit einem Strahlen in den Augen an, als sei das Verkaufen von Eiern und geschlachteten Hühnern die Erfüllung ihres Lebens.
Katharina verspürte einen Anflug von Neid auf diese Frau. Sie hatte zu Hause mit Sicherheit keinen Mann, der ihr unheimlich vorkam. Mit einem Hauch von schlechtem Gewissen wegen dieses Gedankens konzentrierte sie sich wieder auf Hohenheim. »Bei der Priorin dürfte das schwierig sein, es sei denn, Ihr wollt das Kloster stürmen, indem Ihr den Lettner in der Kirche überwindet. Aber der Bruder wird kein Problem sein«, sagte sie. »Er wohnt im Haus meines Mannes. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr sogleich mitkommen, dann frage ich ihn, ob er sich untersuchen lassen will.« Sie zögerte kurz, dann fügte sie hinzu: »Und wenn Ihr möchtet, dann könnt Ihr Euch auch mit meinem Mann unterhalten.«
Hohenheim schaute verdutzt. »Eurem Mann?«
»Ja.« Katharina musste allen Mut zusammenfassen, bevor sie es schaffte, zu sagen: »Egbert. Er lebt. Es war ein Irrtum ...«
»Er lebt?« So laut rief Hohenheim diese Worte, dass die Marktfrauen alle gleichzeitig den Kopf wandten und nach ihm schauten. »Was für eine wunderbare Nachricht!«
»Dann soll ich Euch also zu ihm bringen?«
Hohenheim nickte eifrig. »Ja! Das wäre mir ein reines Vergnügen, meine Liebe! Würdet Ihr so freundlich sein?«
Den vergangenen Tag über hatte Lukas Egbert Jacob geholfen, den erfolgreichen Versuch wieder und wieder nachzuvollziehen, bis der Doktor sich völlig sicher war, dass er ihn nun niemals wieder vergessen konnte. Raphael Krafft hatte begonnen, sich nützlich zu machen, doch trotzdem hielt Lukas es für Geldverschwendung, ihn hier im Haus zu behalten.
Gegen Mittag beschloss er, den Doktor darauf anzusprechen.»Ich könnte ihn nach Hause begleiten«, schlug er vor. »Dann wissen wir, wo er wohnt und können bei Bedarf einfach neuen Urin holen!«
Der Doktor, der gerade den letzten Tropfen von Kraffts Urin aus dem Eimer in den Tiegel kippte, hielt mitten in der Bewegung inne. Für einen Moment lang wirkte er wie zu Stein erstarrt, nur eine einzelne Ader an seinem Hals pochte mit solcher Kraft, dass Lukas sie sehen konnte.
Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus. In der kurzen Zeit, in der der Doktor wieder da war, hatte er gelernt, die Zeichen zu lesen, die dessen Körper aussandte, bevor er in diesen unheimlichen Zorn verfiel. Das Pochen der Ader war eines dieser Zeichen.
Doch diesmal war Lukas’ Sorge unbegründet. Der Doktor beruhigte sich wieder, bevor die Wut nach außen brechen konnte. Langsam wandte er sich zu Lukas um.
Der forschte aufmerksam nach den Anzeichen der Wut in dem Gesicht, aber er fand nichts.
So unauffällig wie nur möglich atmete er aus.
»Ich möchte ihn lieber hierbehalten«, sagte der Doktor mit sehr ruhiger Stimme.
»Wie Ihr wünscht!« Lukas nickte. Und im Stillen dachte er: Es ist ja Euer Geld!
Danach breitete sich eine beinahe unangenehme Stille in der Küche aus. Lukas war froh, als die Haustür ging und Katharina nach Hause kehrte.
»Ich bin wieder da!«, rief sie vom Flur her.
Lukas trat aus der Küche und sah, dass sie jemanden mitgebracht hatte.
»Das ist Doktor von Hohenheim«, stellte sie Lukas den abgerissen aussehenden Mann vor, aus dessen Augen eine helle, freundliche Intelligenz leuchtete.
»Herzlich willkommen!« Lukas verbeugte sich vor dem Mann.
Der lachte erfreut. Im Ganzen wirkte er so begeistert und zappelig wie ein Schuljunge kurz vor Ende des Unterrichts. Lukas musste ein Schmunzeln unterdrücken.
»Ich habe Hohenheim zufällig auf der Straße getroffen«, erklärteKatharina. »Er kennt meinen Mann von früher, und bis eben wusste er nicht, dass er noch am Leben ist.«
Lukas wandte sich zu der Küchentür um, hinter der der Doktor noch immer in seine Arbeit vertieft war und offenbar nicht gemerkt hatte, wer gekommen war. »Ich gehe ihn holen.«
Er ging zurück in die Küche. »Da ist Besuch für Euch«, sagte er.
Egbert, der gerade dabei war, den Urin in seinem Tiegel zum Kochen zu bringen, blickte auf. »Wer?« Er wirkte missmutig.
Lukas nannte ihm den Namen des Besuchers, und da hob Egbert die Augenbrauen. »Wirklich!« Statt eine Antwort abzuwarten, stellte er den Tiegel auf der Herdumrandung ab, säuberte sich die Finger an einem Tuch, das er achtlos
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