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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Neugier eilte Richard dem Bürgermeister hinterher, der jetzt überraschend behände die steile Treppe hinaufeilte und die Kirchentür aufriss.
    Hinter Silberschläger betrat Richard das Innere der Kirche.
    Weihrauchduft wehte ihm entgegen und kratzte ihm in der Kehle. Vor einem Nebenaltar, der ungefähr auf halber Strecke zwischen Westportal und Hochaltar lag und der dem heiligen Bartholomäus geweiht war, kniete eine Frau und betete. Ein Vikar las an einem anderen Altar eine der achtzehn pro Tag vorgeschriebenen Messen, und zu Richards Überraschung vermischten sich seine lateinischen Worte mit lautem Quietschen und Poltern. Vor dem Marienaltar war ein missmutig aussehender Mann, offenbar der Mesner, damit beschäftigt, ein paar Gebetsbänke neu zu arrangieren. Niemand störte sich an dem Lärm, den er dabei verursachte.
    »Bürgermeister!« Der Ruf schallte quer durch das Kirchenschiff und brach sich an dessen Gewölben, so dass sein Echo zwiefach zurückgeworfen wurde. »Wir sind hier vorn!«
    Missbilligend ob dieser Entweihung, blickte der Mesner in Richtung Chor, doch als er sah, dass es ein Priester in vollem Ornat gewesen war, der den Ruf ausgestoßen hatte, wandte er sich schweigend und mit zusammengepressten Lippen wieder seiner Tätigkeit zu.
    »Das ist der Praepositus«, erklärte Silberschläger, und als er sah,dass Richard keine Ahnung hatte, was ein Praepositus war, fügte er hinzu: »Der Vorsteher der hiesigen Chorherren. Sein Name ist Jakob Flechner.«
    Flechner winkte den Bürgermeister zu sich heran.
    »Bitte wartet einen Augenblick hier«, sagte Silberschläger zu Richard. Dann ließ er ihn kurzerhand stehen und eilte quer durch das Kirchenschiff nach vorn zum Chor, wo Flechner inmitten einer Gruppe Chorherren stand und ihm zuwinkte.
    Wie gebeten, blieb Richard, wo er war, und sah zu, wie Silberschläger begann, mit den Männern zu sprechen und dabei zurück in seine Richtung wies. Eine Weile lang stand Richard herum und ließ seine Blicke durch das Kirchenschiff schweifen. Als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung zu seinen Füßen wahrnahm, schaute er genauer hin. Eine Ratte rannte mit langen Sprüngen quer über den steinernen Fußboden, bis sie eine der Stufen erreicht hatte, die zum Katharinenaltar hinaufführte. In ihrem Schutz eilte sie in Richtung Südturm. Dort war direkt an der Kirchenmauer ein kleines hölzernes Gelass aufgebaut, in dem Gläubige und Pilger die Votivtäfelchen kaufen konnten, die zu Hunderten am Grab des heiligen Sebald hingen. In einer Spalte zwischen den Holzbohlen verschwand die Ratte, und Richard blinzelte zweimal rasch nacheinander, weil er seinen Augen nicht recht trauen wollte. Das Tier hatte etwas im Maul getragen, etwas Weißes, Längliches, das auf den ersten Blick wie ein menschlicher Finger ausgesehen hatte. Richard kniff sich in den Nasenrücken und musste über sich selbst den Kopf schütteln. Jetzt sah er schon wieder Gespenster in jeder Ecke!
    Er ermahnte sich, sich zusammenzureißen.
    Vorn gestikulierte Silberschläger noch immer eifrig, deutete dann in Richards Richtung und schließlich gen Kirchendecke. Die Männer, mit denen er sprach, allesamt Mitglieder des Pfarrklerus, die sich violette Messgewänder übergeworfen hatten, schienen mit seinen Worten nicht einverstanden zu sein. Jakob Flechner, der die anderen Priester um fast eine Haupteslänge überragte, blickte Richard über die Köpfe der anderen hinweg an. Dann nickte er, sagte etwas zu seinen Kollegen, die daraufhin einzulenken schienen. Mit wehenden Gewändern kamen sie allesamt nach hinten zum Westportal geeilt,Silberschläger voran. Er wirkte wie ein Feldherr, der seine Lieblingsarmee in die Schlacht führt.
    Direkt vor Richard blieb er stehen. »Das ist Richard Sterner«, stellte er ihn den Chorherren vor. »Der Praepositus wird zusammen mit den hier anwesenden Priestern dafür Sorge tragen, dass diese Kirche nicht noch mehr entweiht wird.«
    Richard nickte Flechner zu. Der verzog keine Miene, und doch konnte Richard ihm ansehen, dass er nicht begeistert von seiner Anwesenheit in dieser Kirche war.
    »Die Herren sind in großer Sorge«, erklärte Silberschläger. »Unser ... Fund bedeutet großes Ungemach für die gesamte Gemeinde.«
    Fast hätte Richard aufgelacht. Er beherrschte sich gerade noch und sagte stattdessen nur kühl: »Für den Türmer erst!«
    Der Witz kam nicht gut bei Flechner an. Mit mürrisch zusammengekniffenen Lippen sagte der Mann zu Silberschläger: »Mir ist nicht

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