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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Silberschläger zu zeigen pflegte, wenn er wütend war.
    Richard kannte ihn von einigen frühreren Besuchen in den Ratsstuben. Gernot Silberschläger hatte nach dem plötzlichen Verschwinden von Bürgermeister Zeuner im August dessen Amt alsLochschöffe übernommen und übte dieses seitdem mit mehr oder weniger glücklicher Hand aus. Es ging das Gerücht, dass die Untersuchungszeiten, die die Häftlinge im Lochgefängnis unter dem Rathaus saßen, seit Beginn seiner Amtszeit um mehr als das Doppelte in die Höhe geschnellt waren. Richard mochte das glauben, aber er war überzeugt davon, dass es nicht Silberschlägers Schuld war, denn seit dem großen Wahnsinn war das Lochgefängnis völlig überfüllt mit Häftlingen, die der Plünderung, des Raubes oder Schlimmerem angeklagt waren. Und da der Rat sich entschieden hatte, Silberschläger keine weiteren Gehilfen zur Verfügung zu stellen als jene beiden, die ihm kraft seines Amtes ohnehin zustanden, dauerten die Untersuchungen der einzelnen Fälle eben an.
    »Setzt Euch doch!«, forderte Mullner ihn auf. »Wir haben uns gerade über den Türmer unterhalten.«
    Noch immer unschlüssig, kam Silberschläger der Aufforderung nach. Der Wirt bemerkte ihn und brachte ihm ein Bier, ohne dass Silberschläger ihn dazu hätte auffordern müssen.
    »Wir sind alle neugierig, was Euer Mann im Turm von St. Sebald herausgefunden hat«, sagte Mullner. »Warum hat der Türmer aufgehört zu läuten? Ist er tot umgefallen?« Er sah aus wie ein kleiner Junge, der auf eine spannende Geschichte hoffte.
    Silberschläger seufzte. Seine Mundwinkel zogen sich ein wenig nach unten, und nun sah er überaus mürrisch aus. Mürrisch und erschöpft. Er hatte eindeutig keinen besonders angenehmen Tag hinter sich.
    »Es wurde eine Leiche in der Türmerstube gefunden«, sagte er verdrießlich. »Mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen.«
    Mullner ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken. »Eine Leiche?« Immerhin flüsterte er, so dass von den anderen Gästen niemand etwas mitbekam. »Der Türmer, vermutlich?«
    Silberschläger blickte ihn böse an, doch er bemerkte es nicht einmal. Mit freudigem Lächeln auf den Zügen wartete er auf eine Antwort.
    Richard fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ein Mann, der so offensichtlich arglos war wie Mullner, es zum hohen Amt eines Bürgermeisters geschafft hatte.
    »Vermutlich«, gab Silberschläger endlich zur Antwort.
    »Vermutlich? Ihr müsst es doch wissen!«, rief Mullner aus.
    Ja, dachte Richard. Weiß er auch, aber er will es dir nicht sagen, Trottel!
    Silberschläger stieß ein tiefes Seufzen aus. »Ich hatte noch keine Zeit, mich selbst von der Identität der Leiche zu überzeugen«, behauptete er, und Richard bemerkte die kleinen Anzeichen von Unbehagen in seinem Gesicht. Der rasche Blick an Mullners Schulter vorbei, um einen Augenkontakt zu vermeiden. Die Falten, die ganz kurz um seinen Mund herum erschienen. Silberschläger hatte gelogen, das war mehr als deutlich.
    So deutlich, dass sogar Mullner es bemerkte. »Ach kommt!«, rief er aus. »Das könnt Ihr Eurer Großmutter erzählen!«
    Einen Moment sagte Silberschläger gar nichts. Hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft, und schließlich meinte er: »Ihr habt recht. Ich habe gelogen, weil die ganze Sache, nun, sagen wir, ziemlich rätselhaft ist.«
    Mullners Augen begannen zu leuchten, doch diesmal war es Kirchner, der sich einmischte: »Rätselhaft? Inwiefern?«
    Aber Silberschläger hatte nun den Punkt erreicht, an dem er nicht mehr bereit war, weitere Einzelheiten auszuplaudern. Er schüttelte einfach nur den Kopf.
    Das Leuchten in Mullners Augen erlosch, wurde jedoch nicht von Enttäuschung ersetzt, sondern von Spott. »Rätselhafte Todesfälle?«, sagte er mit einem ironischen Tonfall. »Vielleicht solltet Ihr Sterner mitnehmen, damit er Eure geheimnisvolle Leiche ansehen kann!« Er klang jetzt hörbar verstimmt.
    Silberschläger warf Richard einen Seitenblick zu.
    »Mit rätselhaften Leichen sollte er sich doch auskennen«, redete Mullner weiter. »Immerhin hat er sich in der Hand des Engelmör...«
    Richard hob eine Hand und unterbrach den Bürgermeister. Kühl blickte er ihn an. »Ihr vergesst Euch!«, sagte er nur.
    Mullner senkte den Kopf und schwieg. Unter den Augenbrauen hervor schoss er jedoch einen bösen Blick auf Richard ab, und in diesem Moment ähnelte er ganz einem kleinen Jungen, der voller Trotz anderer Meinung war als sein Vater.
    »Kommt!«, forderte Kirchner ihn auf

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