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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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erhoben und begann sich anzuziehen, ohne dabei den Blick von ihr zu lassen.
    »Es ... ist nichts.« Maria musste die Zähne voneinander lösen, bevor sie den Satz zu Ende sprechen konnte.
    Lügen ist eine schlimme Sünde, mein Fräulein! Gott wird dich strafen, wenn du lügst!
    Maria presste den Rock fester gegen den Leib und drückte sich in die Kissen des Bettes. Arnulf hatte inzwischen Hose und Stiefel an. Mit dem Hemd in der Hand kam er auf sie zu, blickte auf sie nieder und kniete sich dann vor ihr hin. »Was ist nur mit dir?« Maria klammerte sich an den besorgten Ausdruck seiner grünen Augen, hielt sich daran fest, um das Grauen zu bekämpfen, das die Stimme in ihr wachrief.
    »Nichts!« Sie schrie beinahe. »Es ist nichts!« Wie unter einem Schlag krümmte sie sich. »Bitte geh!« Auf keinen Fall wollte sie, dass er sie so sah, so elend, so ... kindlich.
    Irritiert von ihrer Heftigkeit, stand er auf. »Bist du sicher? Soll ich Sibilla holen?«
    Sibilla war nicht nur eine Engelmacherin. Ab und an kümmerte sie sich auch um die Jüngeren unter den Huren und ihre augenfälligsten Probleme.
    Maria schüttelte den Kopf. »Nein. Geh nur!« Sie hob den Arm und deutete auf die Tür.
    Da endlich nickte er. »Wenn du es so willst.« Er beugte sich über sie, gab ihr einen sanften Kuss auf den Scheitel, dann zögerte er und legte ihr die Hand auf die Stirn.
    Sie schlug sie weg. »Ich bin kein Kind!«, rief sie aus.
    Er richtete sich auf. »Ich wollte nur sehen, ob du Fieber hast.« Er warf sich das Hemd über, stopfte es in die Hose und griff dann nach dem Türknauf. Noch einmal sah er auf Maria nieder. Dann ging er. Leise zog er von außen die Tür ins Schloss, doch das Geräusch hallte in Maria wider wie ein Schuss.
    »Ich wollte ihn Dagmar nicht wegnehmen!«, flüsterte sie. Ihre Augen brannten jetzt, aber sie konnte nicht weinen.
    Kleine, widerliche Diebin!, kreischte die Stimme in ihrem Kopf. Du bist eine Sünderin vor dem Herrn!
    Mit einem verzweifelten Schrei warf sie sich zur Seite. Sie grabschte nach Mimi, riss sie an sich und wiegte sie in den Armen wie ein kleines Kind. Und dann begann sie ein Schlaflied zu summen, das sie früher immer gesungen hatte. Wenn Dagmar in der Dunkelheit vor Angst zu weinen begonnen hatte, hatte sie sich so das eigene Entsetzen vom Leib gehalten. Jetzt jedoch half es nicht mehr.
    Es war schon dunkel, als Richard vor dem Gasthaus Zur krummen Diele eintraf und in der Gasse davor unschlüssig stehenblieb. Nach der erschreckenden Vision am Schönen Brunnen war er nach Hause zurückgekehrt, hatte stundenlang in seinem Kontor gesessen und vor sich hin gegrübelt. Dabei waren die alten Bilder zurückgekehrt, die ihn früher gequält hatten, die Visionen von schwarzem Wasser und darin schwebenden Knochen, die er glaubte hinter sich gelassen zu haben. All das hatte ihn mit solchem Entsetzen erfüllt, dass er sichentschlossen hatte, dem zu entfliehen. Also hatte er sein Haus erneut verlassen und war eine ganze Weile lang durch das winterlich kalte Nürnberg gelaufen. Die Kälte hatte für ein wenig Entspannung gesorgt, aber das Zittern seiner Hände hatte er nicht in den Griff bekommen.
    »Silberschläger, du verdammter Mistkerl!«, murmelte er jetzt, da er vor der schiefen Tür des Gasthauses stand und überlegte, ob er hineingehen und sich einen heißen Gewürzwein gönnen sollte.
    Bevor er zu einem Entschluss kam, drückte jemand von innen gegen die Tür, um sie zu öffnen. Wie schon so oft klemmte sie, und der Gast musste sich mit der Schulter dagegenwerfen. Dabei nahm er zu viel Schwung, die Tür flog mit einem Ruck auf, und der Mann landete beinahe vor Richards Füßen.
    Gerade noch konnte Richard zugreifen und ihn vor dem Stürzen bewahren.
    »Danke!« Der Mann fand sein Gleichgewicht wieder und musterte Richard von oben bis unten. Er war kleiner als Richard, und es war nicht zu erkennen, ob er schlank oder dick war, denn er hatte sich in so viele Schichten Kleidung gehüllt, dass er wirkte wie ein unförmiges Fass. Ein grob gestrickter, grauer Wollschal war mehrfach um seinen Hals geschlungen und verdeckte halb einen zauseligen Bart. Aus dem Mund des Mannes drangen weiße Atemwolken wie Nebelschwaden.
    Richard nickte dem Mann zu, der setzte seinen Weg fort, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Richard entschied, es als Zeichen zu nehmen. Er holte Luft, wappnete sich gegen die stickige Luft drinnen, dann streckte er die Hand nach dem Türgriff aus.
    »Warte einen Moment«, sagte

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