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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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ansehen wollte. Doch der Mann hob abwehrend die Hände und knurrte sie an.
    Rasch wich Katharina wieder zurück. »Schon gut! Ich will dir nichts tun! Und ich will dir auch nicht dein Zuhause wegnehmen.«
    Der Mann entspannte sich ein wenig. »Gut. Was willste denn?« Nochmals hob er den Lederbeutel, so dass Katharinas Blick darauffiel.
    »Der hat Heinrich gehört, oder?«, fragte sie.
    Der Mann nickte unwillkürlich, dann schüttelte er den Kopf. »Ist meiner! Ich habe ihn gefunden, also gehört er mir!« Wieder bleckte er die Zähne, und diesmal fiel Katharina auf, dass nicht nur sein Auge entzündet war, sondern sein gesamtes Zahnfleisch. Es hatte die Farbe reifer Kirschen.
    Heinrich hatte wunderschöne weiße Zähne gehabt. Der Gedanke kam so unvermittelt, dass sie nach Luft schnappte.
    Der Bettler zuckte zusammen. Seine Augen weiteten sich noch ein wenig mehr. Katharina konnte die Adern sehen, die das entzündete durchzogen.
    »Ich will ihn dir nicht wegnehmen«, versuchte sie den Mann zu beruhigen. »Ich bin nur auf der Suche nach etwas.«
    »Was?« Der Blick des Bettlers huschte zum Eingang des Raumes. Ganz im Gegensatz zu seinem selbstsicheren Auftreten zu Beginn wirkte er jetzt eher wie ein gehetztes Tier.
    »Du musst dich nicht fürchten«, beruhigte Katharina ihn. »Heinrich wird nicht zurückkommen.« Sie hatte einfach vermutet, dass es das war, was ihn besorgte.
    Sie schien richtig geraten zu haben, denn der Bettler entspannte sich sichtlich. Dann jedoch fragte er misstrauisch: »Warum nicht?«
    »Weil er tot ist.«
    »Tot!« Der Bettler ließ sich gegen die Wand sinken.
    Katharina nickte. »Tot. Ich bin auf der Suche nach einem Hinweis, ob er Verwandte hatte. Oder Freunde. Jemand, den man benachrichtigen muss.«
    »Cornelius war ein Freund«, murmelte der Bettler.
    »Cornelius?« Katharina streckte eine Hand aus und drehte die Fläche nach oben. »Wo finde ich diesen Cornelius?«
    Der Bettler schlug sich mit der geballten Faust an die Brust. »Cornelius mochte Heinrich.«
    »Sag mir, wo ich ihn finde, damit er erfährt, was passiert ist!«, bat Katharina ihn. Dann erst ging ihr auf, dass der Bettler ihr ihre Frage längst beantwortet hatte.
    Die Schläge auf die Brust: Sie waren die Antwort.
    »Du bist Cornelius?«, fragte sie.
    Der Bettler nickte dreimal schnell nacheinander. »Heinrich war ein guter Freund«, nuschelte er. Noch immer schlug er sich mit der Faust vor die Brust.
    Katharina trat nun direkt vor ihn hin. Behutsam griff sie nach seiner Hand. Cornelius wehrte sich, wollte sich ihr entziehen, doch Katharina hielt ihn fest. Seine Haut war kalt und ledrig unter ihren Fingerspitzen, doch dafür, dass er in einem erbärmlichen Zustand war, hatte er erstaunlich viel Kraft. Irgendwann jedoch gab er seinen Widerstand auf.
    Er erstarrte zur Bewegungslosigkeit und rührte sich nicht mehr.
    »Heinrich hätte gewollt, dass Cornelius seine Sachen kriegt«, flüsterte er. Angst leuchtete in seinen Augen, pure, kindische Angst. Katharina strich ihm über den Handrücken, und er kniff erschrocken die Lider zusammen.
    »Still! Niemand wird dir Heinrichs Sachen wegnehmen!« Ein kurzer gehässiger Gedanke zuckte ihr durch den Kopf: Ein schöner Freund bist du! Heinrich ist noch keine vierundzwanzig Stunden tot, und schon hast du dir seine Habseligkeiten unter den Nagel gerissen! Doch sie schob diese Regung von sich. Was wusste sie schon über das harte Leben auf der Straße, dass sie es sich erlauben durfte, ein Urteil über diesen Elenden zu fällen?
    Misstrauisch öffnete Cornelius die Augen wieder. »Wirklich?«
    Katharina nickte. »Ich möchte nur einen Blick hineinwerfen. Darf ich das?« Sie zeigte auf den Beutel.
    Cornelius schüttelte den Kopf. »Ist nichts drin, von seiner Schwester oder so.«
    Katharinas Kinn ruckte hoch. »Schwester? Er hatte eine Schwester?« Sie hatte gedacht, er sei als Waisenkind in einem Stift aufgewachsen. Offenbar hatte sie sich getäuscht.
    »War nur so ’ne Art Schwester.«
    Katharina begriff nicht, was er meinte, darum sagte sie das Erste, das ihr durch den Sinn schoss: »Du meinst, eine Nonne?«
    Zu ihrer Verblüffung warf Cornelius den Kopf in den Nacken und lachte auf. Es klang wie das Heulen eines Tieres, aber es war eindeutig ein Lachen. »Nee!« Wieder lachte er, als hätte sie einen ausnehmend guten Witz gemacht.
    »Was dann?« Katharina spürte, wie sie begann, die Geduld mit Cornelius zu verlieren.
    »Na, das Gegenteil!«
    »Das Gegenteil von einer Nonne?«

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