Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
ein Vermögen wert sein. Und dann kaufe ich das Gut zurück.“
„An wen willst du verkaufen? Das ist kein Gebrauchtwagen, Toni.“
„Ich kenne viele Studenten“, sagte er. „Amerikaner, Araber, Engländer, Deutsche. Mit reichen Eltern. Mit sehr reichen Eltern. Mit Kontakten zu noch reicheren Leuten. Der A-Grav ist einmalig. Das werden sie begreifen.“
„Wie viel möchtest du dafür haben?“
Er räusperte sich und sie musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass er einen roten Kopf bekommen hatte.
„5 Millionen Euro.“
„Verlange 100 Millionen“, sagte sie. „Das ist immer noch geschenkt.“
„100 Millionen Euro!“ wiederholte er andächtig. „Und immer noch geschenkt. Ja, du hast recht. Damit wird die Vigna dei Parelli größer werden als sie jemals war. Und ich werde den Namen ändern. In La Vigna di Chiara.“
Rundum glücklich sah er sie an.
„Kannst du mir ein paar Kopien von dem Video ziehen?“
„Mache ich“, stimmte sie zu. „Wenn du mich rechtzeitig zur Bibliothek bringst.“
Antonio stieß zurück, vorbei an der schräg in die Erde gebohrten Walze. Chiara erschien sie wie ein Mahnmal. Nur würde niemand es verstehen. Sie hatte beschlossen, ihre Träume von Atlantis, Sintflut und Kaiserinnen fürs erste für sich zu behalten. Ihr Papa hatte Recht. Sie fühlte sich nicht verrückt. Oder ganz und gar verrückt. Doch falls nicht, musste mehr dahinter stecken. Sie verfügte noch über keine Vorstellung, was es sein mochte. Doch wenn ihre vagen Vermutungen zutrafen, würde sie es über kurz oder lang erfahren.
Antonio unterbrach ihren Gedankengang.
„Vanettis Erben haben bekommen, was er bei sich trug. Also vermutlich auch den Schlüssel. Sie haben ihn bestimmt nicht weg geworfen.“
„Es ist fast dreihundert Jahre her“, bemerkte Chiara.
„Trotzdem“, murmelte er. „Wir sollten es versuchen.“
Er hatte wieder Recht. Auch das gab Chiara zu denken. Gestern erst hatten sie den A-Grav entdeckt. Aber damit er entdeckt werden konnte, entwickelte Antonio seit Wochen einen für ihn ganz untypischen hartnäckigen Eifer. Ihre ‚hyperrealistischen’ Träume und Visionen – so hatte Papa sie bezeichnet – reichten ebenfalls einige Wochen zurück. Sie zog daraus keine Schlüsse. Noch nicht. Sie registrierte es.
An der Piazza dei Cavalleggeri setzte er sie ab. Sie verabredeten, sich in ihrer Mittagspause in der Cafeteria nächst der Bibliothek zu treffen.
30___
Chiara winkte dem Pförtner zu, der den Gruß zackig salutierend erwiderte. An der Haupttreppe stand eine große, grauhaarige Frau, die heftig auf einen jungen Mann im überkorrekten Anzug einredete. Er trug offensichtlich nicht viel zum Gespräch bei. Seine Haltung legte nahe, dass er die erste Möglichkeit zur Flucht dankbar ergreifen würde. Chiara wollte nicht den Anlass dafür liefern, denn dann würde Signora Ancillai sich unweigerlich auf sie stürzen. Die Signora nahm eine eher untergeordnete Position ein, fühlte sich aber aufgrund ihrer langen Zugehörigkeit zur Biblioteca weit bedeutsamer als es der Realität entsprach. Besonders gerne brachte sie das jüngeren Mitarbeitern gegenüber zum Ausdruck. Chiara eilte mit einem kurzen Nicken vorüber, fühlte aber den begierigen Blick der Signora fest zwischen ihren Schulterblättern haften. Da half nur noch eine Finte.
Sie begann zu winken und zu laufen. „Edoardo!“ rief sie. „Edoardo, warte doch!“ Da glücklicherweise keine der Personen in dem langen Gang Edoardo hieß, fühlte sich auch keine angesprochen. Doch Chiara schuf sich einen ausreichenden Vorsprung. Am Ende des Ganges stieg sie die zwei Treppen hoch, die zu ihrem Büro führten.
Beatrice sah auf, als sie eintrat.
„Wieso bist du außer Atem?“
„Signora Ancillai“, sagte Chiara nur, was als Erklärung völlig ausreichte. Beatrice zog die Schultern hoch, als würde sie frösteln. „Mich hat sie neulich mehr als eine Stunde mit Beschlag belegt.“
„Wie bist du entkommen?“
„Ich habe die Knie zusammen gepresst, bin ein bisschen herum gehüpft - und schließlich im Klo verschwunden.“
„Hat sie dich nicht verfolgt?“
„Nein. Das hätte ihr auch nichts genützt. Ich wäre durchs Fenster geklettert, zweiter Stock hin, zweiter Stock her.“
Beatrice studierte noch, ebenso wie Federico, ihr Kollege, der fast immer zu spät kam. Sie jobbten für wenig Lohn in der Bibliothek, doch wurde ihnen die Zeit als Praktikum angerechnet. Chiara arbeitete dagegen als fest angestellte
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