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Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Titel: Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bergmann
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wo eine Reihe von Müllcontainern dezent andeutete, dass selbst in diesem Nobelhotel so etwas Ordinäres wie Abfall anfiel. Er bewegte sich mit größter Selbstverständlichkeit über Treppen und Gänge bis zu einem Umkleideraum des Personals. Um diese Tageszeit gab es hier, wie er wusste, kaum Betrieb. Problemlos öffnete er einen Spind nach dem anderen, begutachtete die Garderobe und schloss sie wieder. Im achten oder neunten fand er, was er suchte: Die Uniform eines Hilfskellners seiner Größe. Er wechselte die Kleidung, die passenden Schuhe hatte er von vornherein richtig gewählt. Lynx schloss gerade den Spind, als eine aufgeregte Stimme rief: „He, was machst du da? Das ist meiner.“
    Die meisten Menschen erfahren in ihrem Leben weder außergewöhnliches Glück noch besonderes Pech. Pietro Borghi hatte sich an diesem Tag eher zu den Glücklichen gerechnet, weil sein Boss ihm erlaubt hatte, seine Schicht verspätet anzutreten, um einen Arzt aufzusuchen – und zwar ohne das übliche bürokratische Getue.
    „Die eine Stunde schaffen wir auch ohne dich“, hatte er nur gebrummt und Pietro damit eine Freude bereitet. Auch der Arzt zeigte sich zufrieden.
    „Alles in Ordnung, Signore Borghi. Mit dieser Leber werden Sie uralt.“
    Eine eklatante Fehleinschätzung, denn sein verspäteter Dienstantritt bescherte Pietro nun wirklich richtig großes Pech. Lynx wirbelte herum und fasste ihn am Hals. Sein Knie zuckte hoch, Pietro krümmte sich nach vorne und etwas knackste wie ein dürrer Ast, auf den man bei einem Waldspaziergang tritt. Lynx ließ die Leiche zu Boden sinken. Einer der Spinde stand leer. Er öffnete ihn und verankerte Pietro mit einer Augenhöhle an einem Haken, so dass er halb hing, halb an der Kastenwand lehnte. Lynx versperrte die Tür und warf den Schlüssel durch den Lüftungsschlitz eines anderen Spinds. Es würden etliche Stunden vergehen, ehe die ersten empfindlichen Nasen sich rümpften. Er zog eine Latexmaske über den Kopf, die seine Gesichtszüge gründlich änderte, betrachtete sich im großen Spiegel und machte sich auf den Weg zu den Suiten.

51___
    Scheich Saduri öffnete persönlich die Tür. Für diesen Termin hatte er seine Leibwächter gegen deren Willen in ein benachbartes Appartement verbannt. Saduri war ein kleiner, auffallend gepflegter Mann mit rundem Gesicht, der gewöhnlich auf 50 bis 55 Jahre geschätzt wurde. Lynx wusste, dass er 68 war, über ein gewaltiges Vermögen verfügte und in der arabischen Welt hinter den Kulissen mehr Einfluss hatte als mancher Staatschef.
    „Ja?“ sagte er beim Anblick des Kellners.
    Lynx hob seine rechte Hand in Brusthöhe. Der Scheich betrachtete aufmerksam den Ring an seinem Mittelfinger.
    „Kommen Sie!“
    Er ließ Lynx eintreten, schloss die Tür und führte den Besucher in das Arbeitszimmer der Suite.
    Sie nahmen Platz, hinter sich einen großartigen Blick auf Florenz. Wie fast alles im Haus war der Tisch grundsolide, massiv und schwer. Auf der glänzenden dunklen Platte standen Gläser und eine Whiskeykaraffe.
    „Scotch ohne Eis“, sagte Saduri zufrieden und schenkte ein. „Sie sehen, ich bin gut informiert. Wir haben denselben Geschmack.“
    „Sie sind ein guter Gastgeber“, stellte Lynx ohne ein Zeichen der Überraschung fest. Sie tranken einander zu. Wieder heftete sich der Blick des Arabers auf Lynx Hand.
    „Ein unverwechselbares Stück. Unser Freund hat mir empfohlen, ganz besonders darauf zu achten. Hat die Form eine besondere Bedeutung?“
    „Sie stellt ein Möbiusband dar. Es ist ein Symbol.“
    „Ein Symbol wofür?“
    „Für die Fähigkeit, den Standpunkt und scheinbar die Seiten zu wechseln, ohne jemals die Richtung zu ändern.“
    Scheich Saduri betrachtete seinen Gast mit freundlichem Interesse.
    „Das geht?“
    Lynx lehnte sich vor und nahm einen der Hotelbriefbögen, die auf dem Tisch lagen. Sorgfältig faltete er ihn so, dass ein schmaler Streifen in Längsrichtung entstand. Er glättete die Kante mit einem Fingernagel, klappte den Streifen auf die andere Seite, glättete ihn wieder. Dann griff er nach dem Papiermesser und trennte den Streifen sauber ab. Er hielt ihn zwischen seinen Händen, drehte ein Ende um 180 Grad und fügte beide Enden aneinander. Mit einer kleinen Heftklammer aus einem Onyxschälchen des Bürosets fixierte er sie. Das Resultat seiner Bastelarbeit reichte er Scheich Saduri.
    „Eine gekrümmte Fläche im Raum ohne Ober- oder Unterseite. Setzen Sie Ihre Fingerspitze auf einen beliebigen

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