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Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Titel: Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bergmann
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lächerlich, das war alles. Erneut wechselte er die Straßenseite und übersah beinahe ein unbeleuchtetes Fahrrad. Der Fahrer rief etwas, das er nicht verstand. Vanetti machte eine abwiegelnde Handbewegung und sah ihm nach. Dabei fiel sein Blick auf einen geparkten Mercedes. Ein Mann saß darin. Er hatte einen großen, massigen Kopf, auf dem er eine dunkel bestickte, kreisrunde, weiße Kappe trug. Ein schwarzer Vollbart verbarg den unteren Teil seines Gesichts. Dieser Typ, vor dem man sich auch ohne Warnung fürchten konnte, blickte starr geradeaus, als ob nichts von dem Verkehr, den vorbeieilenden Menschen oder einem kleinen Zwischenfall wie jenem von Vanetti mit dem Radfahrer, ihn jemals aufrütteln würde.
    Die Haustür stand halb offen. Das verstieß gegen die Hausordnung, kam aber regelmäßig vor. Niemand konnte sagen, warum das seit Jahren angekündigte Schnappschloss noch nicht eingebaut worden war. Immerhin – man lebte in Wien, das als eine der sichersten Hauptstädte Europas galt.
    Vanetti betrat das Haus. Obwohl er die Tür sonst immer abschloss, tat er es diesmal nicht. In der Reihe schmaler Postkästen öffnete er seinen und nahm den täglichen Packen Papier heraus, ohne einen Blick darauf zu werfen. Er stieg die geschwungene Steintreppe hinauf, wie er es schon Tausende Mal getan hatte. Im ersten Stock begrüßte ihn der würzige Duft aus der Küche der türkischen Familie, die einen Stand am Naschmarkt betrieb. Er stieg weiter in den zweiten Stock.
    ‚Eine Gruppe von Leuten weiß, dass es ihn gibt. Sie wollen ihn unbedingt.’ Den Schlüssel. ‚Egal, was sie tun müssen.’ Wer waren ‚sie’? Die letzte Treppenwindung stieg er sehr leise hinauf. Und die Schritte auf dem Gang zu seiner Wohnungstür legte er unhörbar zurück. Gab es Kratzer auf dem Schloss? Er bückte sich, um es aus der Nähe zu betrachten. Da waren einige Kratzer. Wann hatte er das Schloss zuletzt bewusst angesehen? Nach einem ausgedehnten Heurigenbesuch im Herbst, als er niederknien musste, um das Schlüsselloch zu treffen. Stammten die Kratzer von seinen damaligen Versuchen? Er horchte an seiner eigenen Wohnungstür und kam sich erneut ziemlich lächerlich vor. Vanetti richtete sich straff auf, stieß den Schlüssel in das Schloss und stieß die Tür auf. Er wusste selbst nicht, warum er nicht vortrat, sondern einen Schritt zurück auf den Gang. Zwei lange, weiße Arme griffen deshalb ins Leere. Er sah ein verblüfftes, wütendes Gesicht und hörte einen leisen, ärgerlichen Ruf. Vanetti ließ die Post fallen, drehte sich um und rannte zurück zur Treppe und die Stufen hinab. Er hörte Schritte hinter sich und, weiter entfernt, einen schrillen Pfiff. Im Hochparterre wandte er sich zum ersten Mal um. Den Schritten nach zu schließen trabten sie zu zweit hinter ihm her, noch ein Stockwerk höher. Nicht allzu eilig. Er hörte, dass sich die Haustür öffnete. Er lief nicht weiter nach unten, dem Ankömmling entgegen, sondern durch den Gang zu den hinteren Wohnungen des Mezzanins. Am Ende gab es eine Tür, die ins Nachbarhaus führte. Auch sie sollte verschlossen sein. Doch beide Häuser wurden von demselben Hausmeister betreut. Während der Arbeit trank der gerne ein Gläschen und vergaß ständig irgendwo etwas. Verschlossene Türen stellten für ihn deshalb ein dauerndes Ärgernis dar. Vanetti schickte ein Stoßgebet zum Himmel, griff nach der Schnalle und riss die Tür auf. Dahinter führte der Gang in Mezzanin und Stiegenhaus des Nachbarblocks. Doch er lief nicht weiter. Wieder trat er einen Schritt zurück, diesmal in die dunkle Nische hinter der offenen Tür, wo an Haken zwei Arbeitsmäntel hingen. Einige Besen, Wischer und Eimer standen herum. Die Beleuchtung im Gang schimmerte matt, in die Nische drang kaum Licht. Er drückte sich hinter die Mäntel an die Wand und lauschte. Seine Verfolger näherten sich. Sie sprachen so leise miteinander, dass er nichts verstand. Und sie kamen näher. Es mussten jetzt drei Männer sein, den Stimmen nach. Sie erkannten die Bedeutung der geöffneten Tür. Wieder folgte eine kurze Diskussion, besser hörbar jetzt, aber in einer fremden Sprache. Durch einen schmalen Schlitz zwischen Wand und Mantel sah Vanetti ein Profil mit schwarzem Bart. Eigentlich hatte er erwartet, dass sie dem offensichtlichen Fluchtweg weiter folgen würden. Das taten sie nicht. Ganz automatisch analysierte er ihre möglichen Motive. Er fand zwei Varianten. Entweder war er, Vanetti, durch den Gang geflüchtet und aus

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