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Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Titel: Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bergmann
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sich gezogen haben sollte. Eine einfache Beobachtung verstärkte für ihn diese Unwahrscheinlichkeit bis an die Grenze der Unmöglichkeit. Unsere irdische Natur führt uns ständig vor Augen, wie immens einfalls- und variantenreich das Leben sich auch unter schwierigsten Bedingungen gestaltet. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es sich in anderen Gegenden des Universums anders verhält. Selbst wenn 99,99 Prozent der Sonnen gar keine Planeten aufwiesen und von den Sonnen mit Planeten wiederum 99,99 Prozent absolut lebensfeindlich sein sollten, verbleiben noch 50.000 Milliarden Systeme mit Chancen auf Leben. 50.000 Milliarden Chancen! Wie gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich nirgendwo entwickelt hat?
    In wenigen Jahren würden Tausende von Exoplaneten entdeckt sein ... Und er wollte in der Liste der Entdecker an einem der vorderen Plätze aufscheinen. Deshalb saß er auch an einem Samstag mit Gerda im fast menschenleeren Institut und wurde doch wieder von Gabis empörten Anrufen oder von Aufsätzen für Schulmagazine eingeholt.

54___
    Etliche Arbeitsstunden und einen freundschaftlichen Samstags-Quickie später hielt sein Taxi in zweiter Spur. Mehrere Autos mussten stehen bleiben, weil die vorbeifahrende Straßenbahn ein Überholen unmöglich machte. Ein ungeduldiger Lenker hupte, zwei oder drei andere schlossen sich an. Vanetti stieg aus dem Taxi und tänzelte zwischen dicht an dicht geparkten Wagen auf den Gehsteig. Da stand er einen Moment, anscheinend unschlüssig, und setzte sich dann doch in Bewegung. Er befand sich in der Porzellangasse im neunten Wiener Gemeindebezirk. Der Samstag-Abendverkehr erreichte seinen Höhepunkt, der Himmel des düsteren Märztags war dunkel. Kalter Wind und der dringende Wunsch, nicht in die Hinterlassenschaft eines Hundes zu treten, drückte die Gesichter der Passanten nach unten. Ein ungemütlicher Abend.
    Zwei Blocks weiter wartete die große Altbauwohnung seiner Eltern und Großeltern auf ihn, die nun ihm gehörte. Üblicherweise hätte er das Taxi dort anhalten lassen. Doch die E-Mail, die er heute im Institut empfangen hatte, ging ihm nicht aus dem Sinn. Eine ungewöhnliche Mail, weil sie weder mit seiner Arbeit als Astrophysiker noch mit seinem komplizierten Privatleben in Verbindung stand. Sie zählte auch nicht zu jenem Müll, der regelmäßig durch die Spam-Filter schlüpfte. Er hatte sie ausgedruckt und Gerda gezeigt.
    „Stimmt das“, fragte sie, „dass ein Vorfahre von dir im Jahr 1700 in Villach gestorben ist?“
    „Ja. Mein 8-mal-Ur-Großvater.“
    „Toll“, sagte Gerda. „Ich weiß nicht einmal, wo meine 1-mal-Ur-Großväter gestorben sind. Also bist du der richtige Vanetti. Kennst du ihren Namen, Chiara Fontana?“
    „Nie gehört“, erwiderte er. „Was hältst du davon?“
    Gerda las laut: „‘Wenn Sie den Schlüssel Ihres frühen Vorfahren haben, passen Sie gut auf darauf. Seien Sie bitte vorsichtig. Eine Gruppe von Leuten weiß, dass es ihn gibt. Sie wollen ihn unbedingt. Egal, was sie tun müssen.‘
    Entweder ein Scherz. Vielleicht eine Verflossene. Oder jemand, der dich wirklich vor etwas warnen will. Eine Italienerin . Chiara Fontana. Ziemlich kurz angebunden. Oder, wie sie sagt: ‚Entschuldigen Sie bitte meine Konfusion und mein Deutsch, ich bin in großer Eile. Melde mich wieder.’“
    Vanetti fiel es schwer, an einen Scherz zu glauben. Er hatte seit langer Zeit nicht mehr an seinen ‚frühen Vorfahren’ gedacht, der im fernen Jahr 1700 in Villach gestorben war. Umso weniger hatte er jemandem davon erzählt. In seiner Kindheit lieferte der 8-fache Ur als Einleitung der Familiengeschichte ein fixes Thema, seither nicht. Und der Schlüssel des frühen Vorfahren? Es gab einige alte Familienerbstücke. An einen Schlüssel erinnerte er sich nicht. Trotzdem: Es klang für ihn nach einer ernst zu nehmenden Warnung. Und – was immer man einem Ernst Vanetti auch vorwerfen mochte – er zählte gewiss nicht zu den Leuten, die eine Warnung in den Wind schlagen. Im reichen Portefeuille seiner Ängste tummelte sich nämlich auch ein leichter Verfolgungswahn.
    Einer Eingebung folgend überquerte er die Straße und tat, als interessiere er sich für die Auslage des Uhrengeschäfts, das schräg gegenüber seiner Wohnung lag. In einem bestimmten Winkel spiegelte sich die Fassade des Gründerzeithauses in der Scheibe. Lange Sekunden musterte er die dunklen Fenster im dritten Stock. Er fand nichts Auffälliges. Sich selbst fand er ein wenig

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