Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
namens Ziller. Er verständigte vermutlich auch Vanettis Familie in Italien, die zwei Jahre später, dem Weg des Verstorbenen folgend, über Villach nach Wien gelangte.
Von einem Schlüssel war nirgends die Rede, doch erinnerte sich Vanetti einer Kette mit Anhänger, die einem der ersten Vanettis, vielleicht sogar jenem Villacher Emilio gehört haben sollte. Er erinnerte sich auch verschiedener Orden, Spangen, Medaillons und desgleichen, die ihm sein Vater oft gezeigt hatte, die er im Chaos auf dem Boden aber nicht entdeckte. Die er übrigens seit dem Tod der Eltern weder gesehen noch vermisst hatte – und der lag mittlerweile fünf Jahre zurück.
Sein Blick fiel auf den voluminösen, schweren Schreibtisch in der Mitte des Zimmers, ein monströses Stück aus dem 19. Jahrhundert, überreich verziert mit verästeltem Schnitzwerk und allegorischen Figuren. Sein innerer Blick drang zurück in die Kindheit, als sein Vater ihn gerne mit aufspringenden Türchen narrte, indem er irgendwo in diesem geschnitzten Dschungel an einem verborgenen Mechanismus zog oder drehte oder drückte. Später verlor der Vater die Freude daran und dem Sohn behagte der Tisch ohnehin nicht. Er stand noch hier, weil die Wohnung groß genug war und eine einfache Entsorgung an seinem enormen Gewicht scheiterte.
Vanetti setzte sich und richtete die Lampe auf das Gewirr aus Holz. Es musste glatte, abgegriffene Stellen geben, Anzeichen häufiger Berührung. Besondere Geheimhaltung war nie ein Ziel des Vaters gewesen, die Freude am Einfallsreichtum des Erbauers hatte immer überwogen. Speziell die Köpfe zweier antiker Helden stachen ihm ins Auge. Sie wirkten abgenutzter als die benachbarten Schnitzereien. Vanetti drehte daran, irgendwo sprang mit einem leisen Klicken ein Türchen auf. So einfach ist das. Er musste sich bücken, um das Geheimfach zu finden. Er griff hinein und zog eine kleine Kassette hervor. Neben mehreren Orden aus der Habsburgerzeit enthielt sie die Kette mit dem Anhänger, an die er sich erinnert hatte. Eine oxidierte Silberkette, fast schwarz, an der eine längliche Keramikfigur baumelte, die eine plumpe Madonna darstellte und an mehreren Stellen gesprungen war. Einer der Sprünge um die Leibesmitte klaffte rundum mehr als einen Millimeter breit. Die Mutter Gottes besaß offenbar ein Innenleben, das sie zusammen hielt. Er betrachtete sie gegen das Licht der Schreibtischlampe. Das Innenleben war einen halben Zentimeter breit und sehr flach. Ein Schlüssel?
Die Haussprechanlage summte. Vanettis Hände begannen haltlos zu zittern. Unfähig, sich zu rühren, saß er da und zwang sich, tief durchzuatmen. Sollte er jetzt die Polizei rufen? Er streifte die Kette mit der gebrochenen Madonna über seinen Kopf und ließ sie unter dem Hemd verschwinden.
58___
Chiara und Elena kamen ebenfalls mit dem Taxi. Sie fuhren geradewegs zu der Adresse im 9. Bezirk, die Chiara im Internet gefunden hatte. Sie klingelten beim Schildchen ‚Nr. 17, Dr. Vanetti’. Die Gegensprechanlage blieb ruhig. Nach mehreren Versuchen drückte Elena ärgerlich gegen die Haustür, die einladend aufschwang. Sie stiegen die Treppe hinauf und ahnten nichts von dem ermordeten Hausmeister, der nur wenige Meter entfernt im Dunkel lag. Ein Hund mit seiner feinen Nase hätte die seltsame Mischung aus Blut und Veltliner bestimmt gewittert. Vielleicht auch noch anderes.
Wie es in vielen Hotels üblich ist, schimmerte in diesem Wohnhaus auf jeder Etage eine Messingtafel mit den Nummern der Wohnungen und wegweisenden Pfeilen. So gelangten sie ohne Umwege direkt vor Vanettis Türe. Wieder drückten sie die Klingel. Nichts rührte sich, doch Elenas scharfes Gehör fing ein Geräusch auf.
„Da war was, ein Schaben oder so. Es ist jemand drinnen“, stellte sie fest. Tatsächlich hatte der hypernervöse Astronom ganz gegen seinen Willen den Sessel zurückgeschoben, um aufzuspringen und zur Tür zu eilen. Er verharrte mitten in der Bewegung.
Chiara klopfte fest gegen das dunkle Holz.
„Signor Vanetti, machen Sie bitte auf. Ich bin Chiara Fontana. Ich habe Ihnen die E-Mail geschickt.“
Er konnte sich nicht länger tot stellen und ergab sich in sein Schicksal. Die Freundinnen vernahmen zögernde Schritte, dann ein tiefes Luftholen.
„Er hält die Luft an“, flüsterte Elena beeindruckt. „Damit man seinen Atem nicht hört. Wirklich gerissen.“
Nach weiteren, langen Sekunden drehte sich der Schlüssel im Schloss, die Tür schwang einen Spaltbreit auf.
„Sie sind
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