Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
musterte Chiara mit jener unerschütterlichen Arroganz, die nur Männer ohne jegliche Selbstzweifel aufbringen. Im Grunde ein schweres Defizit, dachte sie, partielle Idiotie, die aber brandgefährlich sein kann.
„Woher kommt ihr?“
„Aus Italien. Signor Vanetti hat italienische Vorfahren und ...“
„Woher genau?“ unterbrach er sie scharf.
Wie in einem Reflex wollte Chiara irgendeine Stadt nennen, nur nicht Florenz, doch ebenso schnell fielen ihr all die Ausweise und Visitenkarten ein, die Elena und sie in ihren Handtaschen bei sich trugen.
„Aus der Toskana, und Sie?“
Er ignorierte ihre Gegenfrage.
„Stellt eure Taschen ab und setzt euch aufs Sofa.“
„Der A-Grav!“ schoss es durch Chiaras Kopf. „Sie werden ihn finden und ich bin schuld daran.“
Sie hätte sich ohrfeigen können, weil sie ihn nicht in einem Schließfach am Bahnhof zurück gelassen hatte. Sogar Antonio war klüger gewesen. Einen Moment lang erwog sie die Chancen eines überraschenden Befreiungsschlags. Realistisch betrachtet würde sie eine halbe Minute brauchen, um ihre Wunderwaffe aus der Reisetasche zu holen, sie zu aktivieren und mit den Angreifern zu jonglieren. Vor ihr standen andererseits drei angespannte, misstrauische, bewaffnete Männer, die es keine Sekunde kosten würde, ihre Pistolen abzufeuern. Elena hatte keine Ahnung, worum es ging und von Vanetti, dem Hausherren, durfte sie nicht viel erwarten. Sie dolmetschte den Befehl des Bärtigen für ihre Freundin und tat, was er verlangt hatte. Nicht so Elena, die ahnte, was mit ihren Sachen geschehen sollte.
„Das ist meine Tasche“, fauchte sie und drückte sie an sich. „Da wühlt mir keiner herum!“
Man musste nicht Italienisch verstehen, um zu wissen, was sie meinte. Mit drei Schritten stand der dünne Blonde hinter ihr. Eine Klinge blitzte auf. Elena zuckte zusammen und erstarrte. Sie ließ die Handtasche fallen und stand mit weit gespreizten Fingern still wie eine Statue. Der Blonde riss mit einem groben Ruck ihre gefütterte Jacke nach unten, so dass sie nur mehr an Elenas Handgelenken und Hüften hing. Dann machte er mit der anderen Hand eine gleitende Bewegung von ihrer Mitte bis zum Nacken. Elena schrie auf und verstummte schlagartig, als sich die Mündung der Waffe in ihr Ohr bohrte. Der Blonde führte das Messer blitzschnell zu ihrer rechten und gleich darauf zu ihrer linken Schulter. In zeitlupenartiger Verzögerung glitt Elenas Top nach unten. Es sah aus, als ob die Seide sich an der Haut festklammern wollte, doch ihr Gewicht gestattete es nicht. Gemeinsam mit dem BH rutschte sie bis auf die Höhe ihres Nabels, wo sich der Stoff in einem Faltenwurf sammelte. Der lange Gangster grinste zufrieden, packte sie an der Schulter und versetzte ihr einen Stoß in Richtung Sofa. Elena stolperte und fiel auf die Knie. Chiara half ihr auf und wollte die Jacke hochziehen, um die Brüste ihrer Freundin zu bedecken. Sie sah, dass Elena aus mehreren oberflächlichen Wunden entlang der Wirbelsäule blutete. Im selben Augenblick fühlte sie einen stechenden Schmerz im Rücken.
„Lass das. Setz dich.“
Der Typ mit dem Messer zischte es mit einer heiseren Stimme, in der sich Drohung und Sadismus die Waage hielten. Die Messerspitze verschwand, der brennende Schmerz blieb. Sie setzte sich neben Elena, die immer noch wie paralysiert auf ihren Quälgeist starrte. Die beiden Handlanger machten sich über das Gepäck her. Zunächst leerten sie die Handtaschen aus. Ein Sammelsurium von Gegenständen bedeckte den Tisch.
„Ausgestellt in Florenz“, sagte der mit dem Bürstenschnitt nach einem Blick in die Pässe. „Die Blonde heißt Chiara Fontana. Eine Frau Doktor.“ Er lachte auf.
„Die andere Elena Parello.“
„Parello!“ wiederholte der Schwarzbärtige laut. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Chiara wusste, was das bedeutete. Es gab keinen Zweifel mehr an dem Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Florenz und der unglücklichen Lage, in der sie sich hier in Wien befanden. Nicht für sie selbst und auch nicht für den Mann, der sie in seiner Gewalt hatte.
„Durchsucht den Rest“, befahl er knapp.
Chiara schloss für einen Moment die Augen, als der blonde Sadist ihre Reisetasche ausräumte. Achtlos warf er die Kleidungsstücke zur Seite, die sie in aller Eile zusammengerafft hatte. Dann zog er den blauen Tragebeutel mit dem A-Grav hervor, sah hinein und ließ auch ihn fallen. Er war leer! Das konnte nicht sein. Chiara biss sich auf die Unterlippe
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