Chicagoland Vampires 02 - Verbotene Bisse
äußerst klein und mit so viel Druck aufgebracht worden, dass man die Vertiefungen der Buchstaben spüren konnte. Ich wimmerte glücklich, klappte das Buch zu und stellte es zurück.
»Du bist Büchern hörig«, sagte Ethan und lachte leise. »Hätte ich gewusst, dass du so einfach zu beschwichtigen bist, dann hätte ich dich vor Wochen in die Bibliothek gebracht.«
Ich machte ein zustimmendes Geräusch und zog ein dünnes Buch mit Gedichten Emily Dickinsons hervor. Ich blätterte durch die Seiten, bis ich das Gedicht fand, das ich gesucht hatte, und las es vor: »Ich starb für Schönheit. Doch kaum war ich in meinem Grab, als einer, der für Wahrheit starb, seinen Platz im Zimmer nebenan fand. Er fragte leise: ›Warum hast du versagt?‹ ›Weil Schönheit‹, als Antwort ich ihm gab, ›und ich – weil Wahrheit – sich einig sind, und wir Geschwister.‹«
Zärtlich klappte ich den Einbanddeckel wieder zu und stellte es an seinen Platz zurück. Dann sah ich zu Ethan, der neben mir stand und mich nachdenklich betrachtete. »Bist du für Schönheit oder Wahrheit gestorben?«
»Ich war ein Krieger«, sagte er.
Das überraschte mich und zugleich auch wieder nicht. Die Vorstellung, dass Ethan Krieg führte – anstatt sich politischen Aktivitäten in irgendwelchen Hinterzimmern zu widmen –, überraschte mich. Die Vorstellung von Ethan auf einem Schlachtfeld nicht.
»Wo?«, fragte ich ihn mit leiser Stimme.
Sein Schweigen lag schwer zwischen uns, und ich konnte ihm seine Anspannung vom Gesicht ablesen. Dann schenkte er mir ein offensichtlich vorgetäuschtes, schwaches Lächeln. »Schweden. Vor langer Zeit.«
Er war seit 394 Jahren Vampir. Ich rechnete kurz nach. »Dreißigjähriger Krieg?«
Er nickte. »Sehr gut. Ich war siebzehn, als ich das erste Mal in die Schlacht zog. Ich wurde dreißig, bevor ich verwandelt wurde.«
»Du wurdest während einer Schlacht verwandelt?«
Ein weiteres Nicken, aber kein weiteres Wort. Ich verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. »Man könnte fast behaupten, ich wäre auch während einer Schlacht verwandelt worden.«
Ethan zog geistesabwesend ein Buch aus dem Regal vor sich und blätterte darin. »Du spielst auf Celinas Kampf um die Kontrolle über die Häuser an?«
»Wenn man es so nennen kann.« Ich lehnte mich mit verschränkten Armen an die Bücherregale. »Was glaubst du, was sie wirklich will, Ethan? Dass Vampire die Welt beherrschen?«
Er schüttelte den Kopf, klappte sein Buch zu und stellte es zurück. »Sie will eine Weltordnung, bei der sie an der Macht ist – ob nun als Führerin der Vampire, der Menschen oder von beiden.« Er lehnte sich mit einem Ellbogen an eins der Bücherregale neben mir, legte seinen Kopf darauf ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Die andere Hand hatte er auf der Hüfte abgelegt. Er wirkte plötzlich sehr, sehr müde.
Mein Herz schlug mitfühlend ein wenig schneller.
»Und was willst du, Merit?« Sein Blick war auf den Boden gerichtet, doch dann hob er den Kopf und sah mich mit seinen glasgrünen Augen an. Die Frage war verwirrend genug; das Feuer in seinen Augen war erschütternd.
Meine Frage stellte ich leise. »Was meinst du damit?«
»Du hast es nicht geplant, aber du bist Mitglied eines ehrenwerten Hauses, in einer einzigartigen Position, einer Position mit Einfluss. Du bist stark. Du hast Beziehungen. Wenn du an Celinas Stelle sein könntest, würdest du es wollen?«
Stellte er mich auf die Probe? Ich blickte ihn forschend an. Wollte er mich einschätzen, wollte er herausfinden, ob ich der Machtgier widerstehen konnte, die von Celina Besitz ergriffen hatte? Oder war es einfacher als das?
»Du gehst davon aus, dass sie auf die schiefe Bahn geraten ist«, sagte ich, »dass sie als Mensch ausgeglichen gewesen ist, aber seit ihrer Wandlung die Kontrolle verloren hat. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Vielleicht war sie schon immer schwach, Ethan. Sie hatte nicht einfach eines Tages die Schnauze voll. Sie ist nicht plötzlich eine Befürworterin eines Zusammenschlusses der Vampire geworden. Sie ist vielleicht einfach anders als ich oder du.«
Sein Mund öffnete sich leicht. »Sind wir denn verschieden, Celina und ich?«
Ich sah nach unten und zupfte nervös an meinem Seidenrock. »Seid ihr es denn nicht?«
Als ich wieder zu ihm aufsah, war sein Blick fordernd und intim, vielleicht, weil er die Frage überdachte und sein gesamtes langes Leben rückblickend betrachtete.
»Fragst du dich, ob ich dich verraten
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