Chicagoland Vampires
entlang. An schönen Tagen fanden sich hier viele Läufer und Fahrradfahrer ein, aber heute, in der Finsternis und Kälte, lag er verlassen da. Entlang des Fußwegs befanden sich kreisförmig angeordnete niedrige Steinsitze, und in der Mitte eines dieser Kreise stand eine einsame Gestalt.
Es war Claudia. Sie trug ein langes Brokatkleid mit spitz zulaufenden Ärmeln, und ihr wallender Samtumhang war lang genug, um zu ihren Füßen ein Stoffknäuel zu bilden. Der Saum war verschmutzt, und sie hatte sich die Kapuze über den Kopf gezogen. Einige Strähnen rotblonden Haars lugten unter ihr hervor.
»Ihr wolltet mich sehen?«, fragte ich und betrat den Kreis, wie es Hunderte irische und schottische Frauen in längst vergangenen Tagen getan haben mussten, um eine Audienz mit der Feenkönigin zu erbitten.
Sie schlug die Kapuze zurück, und ihre Haare glänzten im Mondlicht. »Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu sagen«, erklärte sie.
Ich dankte dem Herrn, dass ich mich auf meine Instinkte verlassen konnte.
»Er war mächtig«, sagte sie, und ich ging davon aus, dass sie von Dominik sprach. »Ein Himmelsbote. Ein rechtschaffener Mann, der der Gerechtigkeit mit seiner Willenskraft zum Sieg verhalf. Ich war eine Königin, die wahre Heerscharen befehligte. Unsere Verbindung war eine Verbindung von unglaublicher Macht. Sie war rechtschaffen.«
»Wart Ihr in ihn verliebt?«
»Die Feen interessieren sich nicht für die Liebe«, lautete ihre ausweichende Antwort. »Wir verstehen Verlangen.« Ihre Miene verfinsterte sich. »Wir sind keine Feiglinge, aber wir mischen uns auch nicht in die Verurteilung anderer ein. Wir sind mutig, aber wir führen keine Kämpfe um des Kämpfens willen. Dominik begann immer häufiger zu töten. Immer häufiger zu kämpfen. Die Menschen waren erzürnt. Die Magier glaubten, sie könnten die Himmelsboten einfach wegsperren. Die Himmelsboten hatten natürlich kein Interesse daran, in alle Ewigkeit weggesperrt zu sein.«
»Was ist passiert?«
»Viele Monde waren vergangen, und wir hatten uns lange nicht gesehen, doch eines Nachts kam er wieder zu mir. Wir gaben uns einander hin, und danach bat er mich um eine Gunst. Er vertraute den Magiern nicht, und er fürchtete, er und die anderen würden sich als nicht stark genug erweisen, um ihrer Zauberei zu entgehen.«
»Er wollte von Euch die Gewährleistung seiner Sicherheit. Ihr solltet ihn davor schützen, im Maleficium eingesperrt zu werden.«
Sie nickte. »Und das war ich für ihn zu tun bereit, obwohl er nicht zu den Feen gehörte.«
Ich war der Antwort ganz nahe; ich konnte es spüren. »Wie habt Ihr ihm geholfen?«
»Ich entbot ihm die einzige Gunst, die mir zur Verfügung stand. Wir können Magie nicht erschaffen; sie ist Teil von uns. Wir sind Teil einer Magie, die uns mit dieser und der nächsten Welt verbindet. Du weißt, dass er ein Zwilling ist?«
Ich nickte. »Seth und Dominik. Der Himmelsbote des Friedens und der Himmelsbote der Gerechtigkeit.«
»In einfachen Worten ausgedrückt, ja. Sie wurden gemeinsam in diese Welt entsandt, doch bei der Geburt getrennt. Er glaubte, er hoffte , dass er sich dieser Verbindung erneut bedienen konnte. Diese Magie konnte ihn vielleicht, wenn sie mächtig genug war, mit seinem Bruder erneut vereinen und an diese Welt binden, anstatt im Maleficium eingesperrt zu sein.«
Eine Erinnerung meldete sich vehement – das Bild von Celina und Ethan in einem Park am See, und wie sie darauf bestand, dass sich die Dinge in Chicago änderten. Das war noch bevor Mallory sich darangemacht hatte, gute und schwarze Magie miteinander zu verknüpfen. Sie hatte gesagt, dass sich die Verbindung zwischen Engeln und Dämonen in Auflösung befinde.
Sie war ihrer Zeit voraus, aber sie hatte recht behalten.
»Und Ihr habt ihm Hilfe angeboten, ihn wieder mit Seth zu vereinen?«
»Ich habe sie ihm angeboten, und ich habe ihm geholfen. Es gab einen Magier, der an seine Sache glaubte. Sein Name war Endayel. Die einzige Magie, die ich im Tausch anzubieten hatte, war die, die mich an die lebende Welt band, und Endayel nutzte sie, um Dominik zu retten. Er verband ihn mit seinem Bruder, damit er eine Chance hätte, später ein neues Leben zu beginnen. Und so wurde ich in meinen Turm verbannt, jenseits der Zeit, fern von grünen Auen und fern des grenzenlosen Himmels.«
»Ein Gefängnis«, murmelte ich. »Haben andere Himmelsboten es mit derselben Methode versucht?«
»Das weiß ich nicht, aber die Himmelsboten waren mächtige
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