Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)
aber die Klinik hindert sie daran, weil sonst die Versicherung nicht zahlt. Die Versicherung selbst will sowieso nicht zahlen, die Ärztin wird von allen Seiten unter Druck gesetzt, macht sich selbst die größten Vorwürfe. Sie ist so eine ehrgeizige Uberfüegerin, für die so etwas wie Fehler im Leben einfach gar nicht vorgesehen sind, und jetzt wird ihre Karriere als Chirurgin, die sie sich schon in den schönsten Farben ausgemalt hat, praktisch gleich am Anfang zerstört ... Da haut sie ab ins Ausland, trinkt, stürzt sich in Abenteuer, nimmt Drogen, und erst Jahre später stellt sie sich dann ihrer Geschichte, geht wieder heim, macht eine Therapie ... Ganz am Ende wird sie dann doch wieder Ärztin, in der Entwicklungshilfe.“
„Mhm ... also doch eher autobiographisch, bis auf den Schluss.“
„Ja, und ein langes Kapitel ist da drin, nur über die Versicherung und den Prozess, das sollten Sie unbedingt mal lesen, Chef, das ist sehr aufschlussreich. Mit denen geht sie wirklich hart ins Gericht!“
„Also dann schau’ma doch amal nach, ob ma die Eltern von der Eva Ostermeier finden. Hat jemand die Adresse?“
„Ja hier ...“, meldete sich Haller: „Dr.-Kern-Straße 2, in Prien, Ortsteil Ernsdorf...“
„Was? Der Ostermeier? Des gibt’s ja net ... den kenn i, der wohnt ja praktisch bei mir ums Eck!“ Andrea Erhard war perplex.
„Langsam wem S’ ma unheimlich ...“, scherzte Hattinger. „Sie kennen ja wohl wirklich jeden in Prien? Oiso, was is’n des für oana?“
„Ja, so guad kenn i’n dann ah wieder ned ... vom Sehen halt. Wenn ma uns auf der Straß begegnen, dann sagn’ma Grüß Gott ...“
„Und die Frau Ostermeier?“, fragte Petra Körbel.
„Also, soviel ich weiß, is der scho lang Witwer. Ich hab einmal beruflich mit ihm z’tun ghabt, des is aber bestimmt scho zehn Jahr her, der war Verwaltungsbeamter, und da is es auch um irgend so was gangen, des hab i aber vergessen ... Des mit der Tochter hab i gar ned gwusst, i wohn ja erst seit a paar Jahr da oben in Ernsdorf... aber des is a ganz a freundlicher, ruhiger älterer Herr ...“
„Wissen S’ was, dann fahr’ma doch glei amoi hin und bsuchen ihn. Kommen S’ mit, Frau Erhard, vielleicht beruhigt ihn des, wenn er a vertrautes Gsicht sieht.“
34
Sie trafen Albrecht Ostermeier in seinem Vorgarten an. Er machte bei dem schönen Wetter ein bisschen Gartenarbeit, war dabei, vertrocknete Zweige auszureißen und übriggebliebene braune Blätter vom letzten Winter zusammenzukehren.
„Herr Ostermeier?“, rief Andrea Erhard schon am Gartentor.
„Ja?... Ach, das ist doch die Frau Nachbarin, oder? Jetzt habe ich den Namen gerade nicht parat... kommen Sie doch rein.“
Andrea Erhard und Hattinger betraten das Grundstück.
„Erhard ... Andrea Erhard.“
„Frau Erhard, natürlich!“ Ostermeier schüttelte ihr jovial die Hand. „Mein Namensgedächtnis ist auch nicht mehr das, was es einmal war!“
„Des is der Herr Hattinger ...“
Hattinger versuchte Ostermeier zu taxieren, er war ein drahtiger, relativ großer Mann mit ganz kurzen grauen Haaren und ziemlich ausgeprägten Geheimratsecken, aber sein Alter war schwer zu schätzen, Ende 50 vielleicht ... Der Mann schüttelte auch ihm ausgiebig die Hand.
„Herr Hattinger ... wo habe ich jetzt Ihr Gesicht gesehen, das war doch erst vor Kurzem, ach ... im Fernsehen! Oder? Kann das sein, dass ich Sie im Fernsehen gesehen habe?“
„Des war möglich, ja ...“
Andrea Erhard half ihm: „Der Herr Kommissar war jetzt fast jeden Tag in einer Pressekonferenz, wegen ...“
„... wegen diesem schrecklichen Fall, natürlich, jetzt weiß ich es wieder! Hören Sie, wollen Sie nicht hereinkommen und mit mir einen Kaffee trinken? Ich wollte mir nämlich gerade einen machen.“
„Ja, wenn Sie uns so nett einladen, dann sag’ma ned nein, oder Frau Kollegin?“
„Kaffee is immer guad ...“
Während sie Albrecht Ostermeier ins Haus folgten, sagte er zu Frau Erhard: „Stimmt, Sie sind ja auch Polizistin, oder? Auch das hatte ich vergessen, wir sehen uns ja immer nur auf der Straße oder beim Einkaufen ...“
Er führte sie in ein geräumiges, helles Wohnzimmer. Es war ein schönes altes Haus mit altem Eichenparkett und großzügig dimensionierten, weißlackierten Sprossenfenstern. Das Wohnzimmer lag nach Süden und bot einen wunderschönen Blick auf die Kampenwand und einen kleinen Teil des Chiemsees.
„Schön ham S’ es hier. Bei mir is der Ausblick leider net halb so
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