Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)
zu explodieren, sich auszudehnen, dahin, wo sie jetzt waren, wieder zusammenzuschnurren bis zur unendlichen Dichte, der Keimzelle des nächsten Universums ... Und niemand wusste, wie viele solcher Universen dort draußen noch sein mochten, jenseits von diesem ...
Was bedeutete angesichts dessen die Zeitspanne eines Menschenlebens? Warum war es dennoch so schmerzhaft, was in diesem Leben geschah? Wie hatte er so lange glauben können, dass es einen Gott gäbe, der sich um die Belange der Menschen kümmerte?
Er ließ seinen Blick über den Sternhimmel wandern. Er suchte die Plejaden. Diesen Sternhaufen hatte ihm einst sein Vater gezeigt, es war eigentlich der einzige Sternhaufen, den man mit unbewaffnetem Auge erkennen konnte, er stand im Sternbild Stier: „Du siehst ihn am besten, wenn du ihn nicht direkt ansiehst, sondern leicht daneben schaust, denn in der Mitte der Netzhaut ist unser Auge zwar am empfindlichsten für Farben, aber Schwarz-Weiß sieht man außenherum viel besser“, hatte er gesagt. Sein Vater war kein Augenarzt gewesen, sondern nur ein Messdiener, aber er hatte es vom Pfarrer gelernt, der ein universell gebildeter Mann war. Der Pfarrer musste seinen Vater in vieles eingewiesen haben ... Er hatte es ausprobiert, es hatte funktioniert, und auch heute noch konnte er diesen Rat jederzeit überprüfen, wenn die Nacht sternenklar war: Wenn er direkt hinschaute, waren nur ein paar einzelne kleine, unspektakuläre Sterne zu erkennen, aber wenn er den Blick nur ein kleines bisschen zur Seite lenkte, wurde plötzlich der ganze Haufen als wundersam leuchtendes milchiges Oval erkennbar.
Beides zugleich konnte man nicht haben, zumindest nicht mit bloßem Auge, das hatte ihn immer schon geärgert.
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Um drei Uhr morgens stieg die ganze Mannschaft vor Albrecht Ostermeiers Haus aus den Fahrzeugen. Dieser Aufmarsch zur nachtschlafenden Zeit lockte doch den einen oder anderen Ernsdorfer Bürger ans Fenster, um nachzusehen, wer denn da draußen die sonst hier vorherrschende tiefe Ruhe zu stören wagte.
Hattinger ging voran und klingelte an der Haustür, nicht weil er wirklich erwartete, dass Albrecht Ostermeier öffnen würde, sondern weil er fand, dass man das der Höflichkeit halber so machte, bevor man eine Tür eintrat.
Die Soko-Crew schien noch immer ein paar unsichtbare Fragezeichen hinter sein entschlossenes Handeln zu setzen, was möglicherweise auch der Übermüdung zuzuschreiben war. Sie schienen dem Kommissar im Moment gerade eher aus Gewohnheit und Pflichtgefühl zu folgen als aus wirklicher Überzeugung.
Wildmann war die Ausnahme. Er hatte Ostermeier zwar selbst noch nicht erlebt, das hatte ihm aber auch erspart, von ihm eingewickelt worden zu sein, was Ostermeier bei Andrea Erhard offensichtlich ganz gut gelungen war.
Wie auch immer, auf das energische und ausdauernde Läuten folgte keine Reaktion, und so brachen sie ganz altmodisch um drei Uhr morgens die Haustür mit einem Brecheisen auf, nachdem sie vorher wider Erwarten zwei erprobten Polizeischultern standgehalten hatte. Sie machten sich gleich auf zu einem zügigen Rundgang.
Zunächst schauten sie sich im Erdgeschoss um.
Das Wohnzimmer kannten zumindest Hattinger und Andrea Erhard schon, es sah genauso aus, wie sie es vor zwölf Stunden verlassen hatten, sogar das Kaffeegeschirr und der Rest der Kekse standen noch auf dem Tisch, was bei Hattinger den Verdacht einer überstürzten Flucht erhärtete, während der Rest der Soko diesen Umstand nicht wirklich ernst nahm.
Auch in der Küche war alles unverändert, soweit Hattinger das beurteilen konnte, der rote Korb unter den Küchentüchern stand noch neben der Spüle, das Kaffeepulver war um die Spüle verstreut, wie er es vorhergesagt hatte, ohne deshalb ein Prophet sein zu müssen. Ostermeier hatte sich offensichtlich nicht die Mühe gemacht, den Korb zu entfernen, was man jetzt so oder so deuten konnte.
Neben der Küche war eine fensterlose Speisekammer, wie sie in alten Häusern üblich war, die noch in der Zeit vor der Erfindung der Kühlschränke erbaut worden waren. Dicke Ziegelmauern und Schutz vor Sonnenlicht mussten als Kühlung genügen. Die Speisekammer war karg eingerichtet und auch kaum gefüllt. Eigentlich gab es nur ein einseitiges Regal, auf dem Konservendosen, Marmeladengläser und Weinflaschen gelagert waren. Abgesehen davon war die Kammer leer. Sonst war im Erdgeschoss nur noch ein kleines Bad mit Toilette.
Im ersten Stock befand sich ein Schlafzimmer mit Doppelbett
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