Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
Vom Netzwerk:
Hastings, in dem Moment, wo ich erfahre, dass etwas nicht stimmt, bin ich auf dem Weg in die Schweiz, und nichts und niemand wird mich davon abhalten können. Nicht nach diesen höllischen Monaten.»
    Sie verabschiedete sich mit entschlossener Miene, und Hastings blickte ihr nach. Cecil Seymour, Unterstaatssekretär im War Office, wartete im Ballsaal auf sie. Anscheinend hatte sie ihm den nächsten Tanz versprochen. Köpfe drehten sich nach ihr um. Sollte sie einem Mann je etwas quer durch den Raum mitteilen wollen, so hatte es Lady Georgiana nicht nötig, mit dem Fächer zu gestikulieren, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
    Beim Anblick der schlanken Gestalt, die scheinbar schwerelos über das Parkett glitt, fasste Hastings einen Entschluss. Einen Hauch von Insubordination würde er sich wohl auch leisten können. Vielleicht gelang es ihm ja, Wyndham davon zu überzeugen, aus gesundheitlichen Gründen in Zürich zu bleiben.

Zwischensaison
    «Wen Gott lieb hat, dem gibt er ein Haus in Zürich.»
    Otto von Freising, 12. Jahrhundert
    Anfangs Oktober schloss das Splendid für knapp zwei Monate seine Tore. Manche der Angestellten begaben sich auf die Stör und suchten eine Anstellung in der Stadt. Andere fuhren zu ihren Familien und halfen bis zur Wintersaison auf dem Hof oder im Geschäft aus. Jost beobachtete die Abreise seiner Freunde und Kollegen etwas wehmütig. Ihm standen ein paar einsame Wochen bevor. Besonders die gemütlichen Abende im Personal-Speisesaal, bei denen – in Abwesenheit von Concierge und Gouvernante – viel geschwatzt wurde, würden ihm fehlen. Man lernte dabei vieles, was nicht in den klugen Büchern stand, die Herr Ganz ihm aufzwang.
    So hatte Jost gehört, dass Fräulein Staufer in der Zwischensaison nie nach Hause zurückkehrte. Es hiess, die Gouvernante hielte sich inzwischen für zu gut, um ein paar Wochen auf einem Hof zu arbeiten.
    Just an dem Tag von Fräulein Staufers Abreise brachte ein Bauer eine Fuhre Mist für die Rosenbeete vor dem Splendid. Kurz darauf half Jost Herrn Brehm dabei, von Läusen geplagte Aspidistras in einen Schuppen zu tragen. Danach hiess ihn der Obergärtner, aus Zeitungspapier Tüllen zu formen. Jost, der sich bei dieser eintönigen Arbeit langweilte, meinte leichthin: «Fräulein Staufer hat ganz schön Glück gehabt, fast wäre sie noch da gewesen, als der Mist kam – und das hätte sie bestimmt nicht gemocht.»
    Herr Brehm, der bisher schweigend die Tüllen über seine Lieblinge gestülpt hatte, blickte stirnrunzelnd hoch. «Vorsichtig mein Junge. Du musst nicht jeden Unsinn glauben, der im Speisesaal geschwatzt wird.»
    Jost kämpfte mit einem störrischen Zeitungsbogen und brummelte vor sich hin: «Aber es ist doch komisch, dass sie von ihrer Familie nichts wissen will. Sie soll einen Bruder haben, der jetzt den Hof führt – der wäre im Herbst bestimmt froh um etwas Hilfe.»
    Inzwischen waren alle Pflanzen zugedeckt. Herr Brehm stopfte seine Pfeife und brachte sie dann sanft zum Glühen. Dann drehte er sie so, dass der Pfeifenkopf nach hinten zeigte. «Nicht alle können in ein Heim zurückkehren, in dem ein Vater mit guten Worten auf sie wartet.»
    Er hob die erste Tülle ein wenig an, richtete das Mundstück unter den Rand, blies vorsichtig in den Pfeifenkopf und senkte dann die Tülle wieder ab, sodass der Rauch sein tödliches Werk vollbringen konnte. Er wandte sich der nächsten Pflanze zu, und so dauerte es eine Weile, bis er Josts verwirrten Blick bemerkte. Mit einem Seufzer sagte er: «Fräulein Staufer hat in ihrem Zuhause Dinge erlebt, von denen du dir keine Vorstellung machen kannst. Und nach allem, was man so hört, kommt der Bruder nach dem Vater. Was glaubst du wohl, würde der Herr Direktor zu einer Gouvernante sagen, die mit einem blauen Auge den Dienst antritt?»
    Das war deutlich genug. Jost schwieg betreten. Er war in einem liebevollen Haus aufgewachsen. Zwar konnte er sich an seine Mutter nicht erinnern, aber der Vater hatte sich alle Mühe gegeben, ihn den Verlust nicht allzu sehr spüren zu lassen.
    «Es tut mir leid – das wusste ich nicht.»
    «Weisst du denn wenigstens, dass es Fräulein Staufer war, die dich vorgeschlagen hat, als Herr Ganz einen Kammerdiener für den englischen Herrn suchte? Damit hat sie dir eine grosse Möglichkeit geschaffen. Du solltest ihr das besser lohnen, als dummes Geschwätz zu wiederholen.»
    «Schon gut. Aber wohin fährt sie denn nun für die nächsten Wochen?»
    «Nicht dass es dich was

Weitere Kostenlose Bücher