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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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Unterhaltung unter vier Augen zu zwingen. Während Wyndhams langem Spitalaufenthalt hatte er dessen Cousine besser kennengelernt, sie hatte sich zu seiner Überraschung als intelligent und verständig erwiesen. Trotzdem oder gerade deswegen verspürte er nicht gerade viel Lust, von ihr ausgerechnet jetzt verhört zu werden, schon gar nicht wenn die Gerüchte, die er über sie gehört hatte, wahr waren. Doch es gab kein Entkommen – Lady Georgiana drängte ihn mit sanfter Gewalt hinter eine Zimmerpalme und kam gleich zur Sache.
    «Lieutenant Hastings, auf ein Wort. Muss ich mir um Christian Sorgen machen?»
    «Ich glaube nicht, dass Sie dazu Anlass haben, Lady Georgiana. Die Ärzte sagen, seiner Entlassung würde nichts im Wege stehen. Er wird –»
    Sie unterbrach ihn mit einer ungeduldigen Bewegung ihres Fächers. «Sie wissen genau, dass ich nicht über seinen Gesundheitszustand spreche.»
    Die Gerüchte waren also wahr, und warum auch nicht? Lady Georgiana bewegte sich in den richtigen Kreisen, und mit ihrem Aussehen konnte sie so manchen Botschaftssekretär und Militärattaché dazu bringen, mehr zu sagen, als deren Vorgesetzten lieb sein konnte. Doch nun hatte sie es auf ihn abgesehen, und zwar ohne charmantes Geplänkel.
    «Sagen Sie mir einfach, ob Sie der Behauptung des Professors Glauben schenken?»
    Sie hatte ihre Worte vorsichtig gewählt. Hastings schüttelte den Kopf. «Nein, er muss einen Fehler gemacht haben – es ist schlicht nicht möglich. Christian würde mir da zustimmen.»
    Aus dem Ballsaal ertönte ein Walzer. Lady Georgiana spielte geistesabwesend mit dem Fächer, wobei die kleine silberne Box für die Tanzkarte an ihrem Handgelenk glitzerte.
    Wyndham hatte Hastings erklärt, dass es eine «Sprache des Fächers» gäbe. Das war zu Beginn ihrer Bekanntschaft gewesen, als sie aufgrund ihrer Talente zu gemeinsamen Studien abgeordert worden waren. Hastings hatte zuerst reine Frivolität hinter dem Interesse für diese absurde Methode, geheime Botschaften im Ballsaal auszutauschen, vermutet.
    Doch dem war keineswegs so, Wyndham hatte das Thema einer intensiven kryptographischen Analyse unterzogen. «Das System hat mehrere Schwachpunkte: erstens, dass die Empfänger der Botschaft gar nichts von seiner Existenz ahnen. Was glauben Sie, wie viele Gentlemen überhaupt je von dieser Fächersprache gehört haben? Ich wusste nichts davon und Sie wohl auch nicht, wie ich Ihrem Gesichtsausdruck entnehme. Doch gehen wir davon aus, dass wir beide bedauernswerte Ausnahmen sind, verbleiben einige weitere Probleme. Ich bin mir – zweitens – nicht sicher, dass es nur einen Schlüssel gibt. Stellen Sie sich nur vor, wenn Sender und Empfänger nicht mit demselben Schlüssel operieren? Sollte es aber nur einen Schlüssel geben, wie kann dieser dann geheim bleiben? Verbreitet in Etikette-Büchern und in heimlichen Gesprächen, ist er dann wohl allen bekannt – auch den anwesenden Chaperons, potenziellen Rivalen und eifersüchtigen Liebhabern –, ganz zu schweigen von den Vätern und Müttern, die auch einmal jung waren. Die ganze Sache erscheint mir höchst dubios.»
    So hatte Hastings zum ersten Mal mit Wyndhams Angewohnheit, auch die banalsten Vorkommnisse genau zu untersuchen und die Schlussfolgerungen als Liste zu präsentieren, Bekanntschaft gemacht – und mit seinem Sinn für Humor, der aber in den letzten Jahren mit jeder Mission mehr verschwunden war. Hastings, der nur selten zu solchen Einsätzen abbeordert wurde, hatte die Veränderung besorgt und hilflos beobachtet. Vielleicht würde Wyndham nun wieder zu seinem alten Selbst finden können. Dann hätten die vergangenen schrecklichen Monate doch auch noch etwas Gutes gebracht.
    Lady Georgiana hatte sich zu seiner letzten Bemerkung geäussert, ohne dass er ihr gefolgt war. Hastings schnappte nur noch ihre letzten Worte auf.
    «… Sie scheinen mit Ihrer Einschätzung aber alleine zu sein, und das macht es für Christian gefährlich, nicht wahr?»
    Darauf konnte er ihr kaum antworten, und das wusste sie auch. Er trank einen Schluck und studierte dann intensiv das Glas in seinen Händen. Sie seufzte. «Verzeihen Sie die Frage.»
    Er verwünschte das ganze Geschäft von Herzen und meinte leise: «Machen Sie sich nicht allzu viele Sorgen. Er wird nicht allein sein. Es wird jemand in der Nähe sein.»
    «Ich weiss.» Sie schenkte ihm ein Lächeln, für das viele der anwesenden Männer einiges gegeben hätten. «Aber glauben Sie mir, Lieutenant

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