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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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eingetragen. Es entstand eine beunruhigende Chronologie.
    «Ich wollte damals dem Patron erklären, dass ich den Eindruck hatte, die Zimmer wären durchsucht worden. Aber er mochte mir nicht glauben.»
    «Oh, vielleicht hat er Ihnen geglaubt, Stauffacherin, aber sich dazu entschlossen, lieber nicht genauer hinzusehen. Solche Dinge passieren manchmal in Hotels – das wissen wir doch beide.»
    «Denken Sie, dass sie – wer auch immer das war – gefunden haben, wonach sie suchten? Und was kann das schon gewesen sein?»
    «Nun, nach allem, was ich gehört habe, wurde sehr gründlich vorgegangen. Was immer es war, es ist wahrscheinlich schon lange fort – sofern es je hier war.»
    Anna schauderte leicht. «Vielleicht haben wir einfach nur zu viel Einbildungskraft?»
    «Vielleicht», meinte Henning mit einem etwas zweifelnden Gesichtsausdruck. «Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden diese Saison wahrscheinlich keine grösseren Mysterien zu lösen haben, als wer die Palmkübel im Vestibül auf unaussprechliche Art und Weise entweiht hat.»
    «Wollen wir hoffen, dass Sie recht behalten, Henning.» Sie reichte ihm das leere Glas. «Vielen Dank für den Cognac. Eine Gouvernante sollte sich ja nicht der Trunksucht hingeben, aber den habe ich wirklich gebraucht.»
    «Trunksucht? Oh, Stauffacherin, eines Tages sollten Sie sich wirklich einmal richtigen Ausschweifungen hingeben. So unschuldig darf man nicht durchs Leben gehen.»
    Anna verabschiedete sich kopfschüttelnd von ihm. Es war Montag, und sie musste noch die Wäschekammern kontrollieren. Während sie Laken, Handtücher und Kissenbezüge abzählte, ging sie in Gedanken nochmals das Gespräch mit Henning durch. Sie konnte sich trotz seiner Versuche, sie zu beruhigen, eines unguten Gefühls nicht erwehren. Vielleicht lag es nur daran, dass das Schicksal der Hatvanys dunkle Erinnerungen in ihr aufrührte. Doch der Gedanke an die Geschehnisse in der Kleinen Suite hatte sie schon zuvor beunruhigt.
    Immer wieder musste sie an die Hatvanys denken und wie glücklich sie miteinander gewesen waren. Der Professor – aus altem ungarischen Adel stammend – hatte unter Stand geheiratet: eine Näherin, die Tochter der Zimmerherrin seiner Studententage in Wien. So zumindest war im Damensalon gerne getuschelt worden. Frau Professor Hatvany hatte erheblich bessere Manieren gehabt als die Damen, die glaubten, auf die «kleine Näherin» herabblicken zu können. Sie hatte sich stets die Namen der Zimmermädchen gemerkt und darauf geachtet, niemandem unnötig Arbeit zu machen. Auch der Herr Professor war beim Personal beliebt gewesen. Beim Plaudern mit Gärtnern und Hausknechten hatte er jeweils mit feinem Ohr hingehört und sich immer gefreut, wenn es ihm gelang, die Herkunft eines Pagen oder Portiers richtig zu raten. Bald hatte er sogar die Kunst beherrscht, zwischen verschiedenen Schweizer Dialekten unterscheiden zu können. Wegen dieses Steckenpferdes hatten alle angenommen, dass seine Studien sich irgendwie um Sprachen drehten. Anna stellte beschämt fest, dass sie nicht genau wusste, was wirklich das Fachgebiet des Professors gewesen war.
    Nach dem Mittagessen ging Anna zur Réception, um sich von Herrn Ganz den neuesten Band von «Wer ist’s» auszuleihen. Er hatte das gesellschaftliche Nachschlagewerk immer in Reichweite. Anna wollte die nachmittägliche Zimmerstunde dazu nutzen, mehr über den Professor zu erfahren.
    Der Eintrag zu Professor Hatvany war kurz: «Janos Hatvany, 1840 in Budapest geboren, Studium der Sprachwissenschaften samt Doktortitel in Wien. Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten; Spezialisierung auf das Gebiet der Kryptographie. Verfasser mehrerer bahnbrechender Studien und Grundprinzipien zu dieser militärischen Wissenschaft.»
    Davon, was Kryptographie war, hatte Anna nur eine unklare Vorstellung. Sie machte sich auf in den Lesesalon, wo zwei Herren aus Schweden über irgendwelchen Plänen brüteten und sie nicht weiter beachteten. In einem der grossen Konversationslexika schlug sie unter «Kryptographie» nach und wurde zum Eintrag für «Geheimschrift» verwiesen, dort stand: «Eine Schrift aus Chiffren, d. h. aus Buchstaben, Zeichen oder Zahlen mit geheimer Bedeutung (eigentliche Chiffreschrift, auch kurz bloss ‹die Chiffre›), ferner eine Schrift aus solchen Wörtern, die einzeln für sich zwar einen offenkundigen Sinn, in Wirklichkeit aber eine verabredete Bedeutung haben (Codewörter, auch kurz bloss ‹der Code›).»
    Es folgte

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