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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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Die Dichterin sah nicht aus, als hätte sie sich auch nur einmal im Leben für irgendetwas entschuldigt.
    Henning lachte leise. «Was für ein prächtiges Persönchen. Ich würde ja gerne ein paar ihrer Gedichte lesen – ob es davon wohl Übersetzungen gibt?»
    «Wohl kaum», meinte Anna, die sich im Stillen dasselbe gefragt hatte. Sie blickte sich suchend nach einem Platz für das Bild um, denn es gab keine Anweisungen.
    Henning war in seinem Element. «Ich weiss nicht, ich glaube, die Dame gehört eher ins Schlafzimmer. Was meinen Sie, Hans?»
    Der Hausknecht warf ihm einen nicht sehr christlichen Blick zu und verschwand, etwas von «Besen und Schaufel» vor sich hinmurmelnd.
    Anna schüttelte den Kopf. «Sie sollten ihn nicht immerzu aufziehen.»
    Henning hob abbittend die Hände. «Ich kann einfach nicht anders. Ihnen zuliebe will ich versuchen, mich zu bessern. Versprechen tu ich aber nichts.» Er begann, in der Werkzeugkiste, die die Hausknechte mitgebracht hatten, zu wühlen. «Nun, ich denke, Hans wird sich weigern, hierfür einen Nagel einzuschlagen. Also, Stauffacherin, wohin damit?»
    «Sie ist eine Dichterin», meinte Anna. Sie war sich sicher, der Dame waren ihre Gedichte wichtiger als ihre Liebhaber gewesen. «Liebschaften sind vergänglich, Poesie hingegen dauert an. Also kommt sie an die Wand über dem Stehpult.»
    Grinsend machte sich Henning ans Werk. Anna bat ihn, auch noch gleich das verschneite Dorf im Schlafzimmer aufzuhängen. Als er damit fertig war, meinte er: «Also, ich bin ja auf diesen Lieutenant Wyndham gespannt. Er scheint über einen ausgezeichneten Geschmack zu verfügen. Was ist mit Ihnen? Ein Mann, der Listen schreibt und mit so vielen Büchern reist, der müsste Ihnen doch gefallen.»
    Sie warf ein Büschel Holzwolle nach ihm. Lachend eilte er davon. «Schon gut, ich verstehe, mein esprit ist hier nicht mehr länger gefragt. Dann werde ich mal nachsehen, was mein Ersatz in der Bar so alles angerichtet hat.»
    Helen und Edith, die beiden für diese Etage zuständigen Zimmermädchen, erschienen, um das Bett zu beziehen und das Badezimmer herzurichten. Anna bemerkte, dass die Wasserkaraffe auf dem Nachttisch fehlte, und machte sich mit einem Seufzer auf den Weg in die Wäschekammer, wo auch kleinere Einrichtungsgegenstände gelagert wurden. Als sie zurückkam, konnte sie im Lesezimmer gerade noch das Ende von Helens Verdikt zur Einrichtung mithören.
    «Furchtbar karg – fast wie ein Gefängnis. Keine Fussschemel; keine Teppiche. Wo wir doch so hübsche Sachen auf dem Dachboden haben. Und hier hat’s nicht mal einen Bettvorleger.»
    Anna betrat das Schlafzimmer und stellte die Karaffe mit etwas mehr Nachdruck, als dem Glas guttat, auf den Nachttisch.
    «Wenn jemand nicht sicher auf den Beinen ist, mag er keine rutschigen Teppiche und Fussschemel, über die er stolpern kann.»
    Helen murmelte eine Entschuldigung.
    «Schon gut. Wenn ihr hier fertig seid, gebt Herrn Ganz Bescheid.»
    Kurze Zeit später traf Herr Ganz ein, damit er die Räume inspizieren und vor allem die Arbeit des künftigen Valets überprüfen konnte. Während der Inspektion von Kleiderschrank und Kommode wagte Anna einen kurzen Blick auf die Garderobe des neuen Gastes: vernünftig, nicht übermässig elegant geschnittene lounge suits aus dunkelbraunem und grauem Tweed und schlichte Hemden mit niedrigen Kragen.
    Anna konnte weder einen Frack noch andere Abendgarderobe entdecken. Es fehlten auch die für Sport und Wintervergnügen üblichen Kleidungsstücke. Der Gentleman hatte wirklich im Sinn, ein zurückgezogenes Leben zu führen. Nachdem Jost diverse Schubladen wieder aus- und umgeräumt hatte, fand Anna sich mit Herrn Ganz alleine im Salon.
    «Sehr hübsch, Fräulein Staufer, das haben Sie hervorragend gemacht. Das ist wirklich ein prächtiges Lesezimmer geworden.»
    Die Bücherschränke standen an den Innenwänden des Raums. Am Fenster links der Balkontür hatte Anna einen kleinen Esstisch mit zwei Stühlen platziert. Rechts der Balkontür stand das Stehpult und gleich daneben in der Zimmerecke der Lesesessel samt einem kleinen Beistelltisch. So platziert erhielt der Sessel tagsüber Licht von Süden und am Abend von Westen. Eine Lampe aus dem Lesesalon sorgte zudem an düsteren Wintertagen für Licht. Zwischen den beiden Fenstern an der Westwand standen hinter einem schmalen Salontisch ein kleines Sofa und daneben ein Fauteuil. Teppiche lagen nur unter dem Esstisch und dem Sofa. Das mochte «kahl» aussehen,

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