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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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wächst, das wollen sie nicht begreifen. Ich habe Herrn Bachmann gestern gesagt, er müsse jetzt wirklich vorwärtsmachen, und er hat mir zugesichert, dass es nur noch ein oder zwei Nächte braucht.»
    Der Eismeister war ein behäbiger Mann, dessen Aufgabe es war, das Eisfeld anzulegen und dann die Saison über in Schuss zu halten. Er liess sich durch nichts – weder Föhneinbrüche noch unleidliche Gäste – aus der Fassung bringen.
    Anna fand, dass der Lieutenant es nicht verdiente, mit jenen uneinsichtigen Herrschaften in einen Topf geschmissen zu werden, behielt das aber für sich.
    Herr Ganz räusperte sich. «Ich sollte an der Réception nach dem Rechten sehen.» Er warf Anna einen vielsagenden Blick zu. «Anscheinend versuchte letzte Nacht ein Gast des Palace die Zimmernummer der Gräfin Tarnowska in Erfahrung zu bringen. Der Herr soll sehr hartnäckig gewesen sein. Besser, ich kümmere mich um die Angelegenheit, bevor aus dem Palace eine Beschwerde eintrifft, man wäre hier zu rüde mit dem Herrn verfahren.» Mit einem resignierten Kopfschütteln machte er sich auf den Weg.
    Anna setzte ihren Rundgang fort. Herr Ganz hatte recht, es war wirklich höchste Zeit, dass das Eisfeld fertig wurde, die Gästeschar wurde immer grösser und bunter und wie es schien ungebärdiger. Normalerweise kam der grosse Andrang erst nach den Weihnachtstagen, doch dieses Jahr war das anders – aus was für Gründen auch immer.
    An diesem Tag tauchte ein weiterer Gast auf – unwillkommen, aber nicht unerwartet: Die ersten Influenza-Fälle wurden gemeldet. Über die nächsten Tage legte Anna eigenhändig Essigwickel an, schenkte Hustensirup aus und liess Grog und Tee Rum zu jenen Patienten bringen, die sich dem viel hilfreicheren Lindenblütentee mit Honig verweigerten. Es galt, die Herrschaften möglichst auf ihren Zimmern zu behalten, um zu verhindern, dass sie die anderen Gäste ansteckten.
    Nebst den unleidigen Grippekranken kam es jetzt auch zu den ersten Opfern des Schnees. Manchmal war die Waghalsigkeit der Gäste eben grösser als das sportliche Geschick. Das endlich fertig präparierte Eisfeld forderte seinen Tribut in Form verstauchter Knöchel und Prellungen an peinlichen Stellen. Ein schottischer Gentleman brach sich das Bein beim Skifahren auf dem Übungshang. Anna hatte noch selten erlebt, dass sich ein Gast einen Unfall dermassen zu Herzen nahm. Mister McGarrett verbrachte die Tage der ärztlich verordneten Bettruhe mit sehr viel Whisky und gönnte sich danach keine Rekonvaleszenz, um den Umgang mit seinen Krücken zu erlernen, sondern reiste sofort ab.
    Manche Gäste suchten das Abenteuer nicht auf dem Eisfeld oder den verschneiten Hängen. Anna behielt – genauso wie der misstrauische Herr Ganz – die Gräfin Tarnowska genau im Auge. Unzweifelhaft genoss die Dame das Spiel mit dem Feuer, doch sie war klug genug, es nicht zu weit zu treiben. Nicht alle verfügten über so viel Erfahrung. So etwa die beiden juwelenbehängten Töchter von Madame Gérard. Maman zog als Gesprächs- und Tanzpartner für ihren Nachwuchs die älteren Herren vor, deren Bankkonten noch mehr Juwelen versprachen. Die Mesdemoiselles hatten anderes im Sinn. Es gelang ihnen regelmässig, vor der mütterlichen Obhut in die Bar zu fliehen, wo sie sich mit den Herren Offizieren vergnügten. Dass der Herr Papa, der es vorzog, die Abende im Herrensalon zu verbringen, ganz und gar nichts von den Boches hielt, machte die Sache auch nicht besser. Herr Ganz murmelte ständig, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis es zum Eklat kommen würde.
    Anna indes fürchtete einen anderen Eklat mehr. Sie bekam von Henning kaum mehr etwas zu sehen. Bis zum späten Nachmittag überliess er die Bar oft Charles, während er mit Gästen auf Skitouren ging. Er unternahm keine gefährlichen Touren, sondern führte die mit Lunchpaketen ausgerüsteten Herrschaften auf einfach zu erreichende Alpen und schaffte es trotzdem, ihnen das Gefühl zu vermitteln, ein regelrechtes Abenteuer bestanden zu haben. Der Patron hatte natürlich nichts dagegen; so etwas war gut fürs Geschäft.
    Henning verbrachte ausgesprochen viel Zeit mit den deutschen Offizieren. Die jungen Herren waren alle wild entschlossen, sich bei jedem Wetter zu ertüchtigen und am Abend ihre Abhärtung in der Bar fortzusetzen. Ihr Anführer, Oberleutnant Ranke, genoss Hennings spezielle Aufmerksamkeit.
    Anna machten Hennings besondere Freundschaften jeweils Angst; nicht weil sie um sein Seelenheil

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