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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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Kommerzialrat Göweil vorgefallen war.
    Lady Georgiana kicherte. «Himmel! Die Frau ist tatsächlich verrückt genug, um mit ihren Geistergeschichten eine romantische Episode heraufzubeschwören. Und was sie gestern beim Dinner alles von sich gegeben hat. Ich hoffe nur, der ‹gute Gustav› ist in glücklicheren Gefilden, wo er sie nicht mehr hören kann. Und dann diese Kleidung, als würde die alte Königin noch unter uns weilen. Wenn das Evidenzbüro diese Dame schickt, dann steht es um Österreich-Ungarn um einiges schlimmer, als sie in Whitehall denken.»
    Anna fragte den Lieutenant leise: «Das Evidenzbüro?»
    «Der österreichische Geheimdienst», antwortete er, dann meinte er: «Viele angesehene Persönlichkeiten befassen sich mit Spiritismus. Frau Göweils Neigungen sprechen nicht unbedingt dagegen, dass sie im Dienst von Kaiser und Vaterland steht.»
    «Na, ich weiss nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, warum Menschen mit den Toten reden wollen.» Lady Georgiana klang zornig. «Man soll sagen, was man zu sagen hat, solange man lebt.»
    Der Lieutenant wusste wohl, was die rätselhafte Bemerkung bedeutete. Er betrachtete seine Cousine nachdenklich.
    Anna rückte die Schale mit den Christrosen ein wenig zurecht und sagte: «Falls Frau Göweil wirklich nach dem Manuskript sucht, so hat sie sich heute die Möglichkeit verschafft, ohne grosse Umstände in jedes Zimmer im Haus zu kommen. Die Zimmermädchen werden es nicht seltsam finden, sollten sie eines Tages darum gebeten werden, der Frau Kommerzialrat ein fremdes Zimmer aufzuschliessen. Sie muss nur sagen, dass ein ehemaliger Gast keine Ruhe findet und sie gerufen hat, um ihm zu helfen.»
    «Ganz schön raffiniert», stimmte der Lieutenant zu. «Sie braucht also nur ein abergläubisches Zimmermädchen, das am besten bereits Gerüchte über den Tod der Hatvanys gehört hat, um hier in die Kleine Suite hereinzukommen.»
    Lady Georgiana hatte sich wieder gefasst. «Nun ja, da du die Räume nicht verlässt, dürfte dieser Plan kaum aufgehen. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das Evidenzbüro eine Frau ganz alleine mit so einem Auftrag losschickt.»
    Der Lieutenant erkundigte sich bei Anna: «Halten sich noch weitere Herrschaften aus Österreich-Ungarn im Haus auf?»
    «Es gibt in der Küchenmannschaft und beim Servier-Personal Österreicher. Und dann ist da natürlich das Orchester. Unter den Gästen fallen mir im Moment nur Herr Schindler und Herr Helm ein, aber die sind fast ständig ausser Haus auf Bergtouren.»
    «Ist das zu dieser Jahreszeit nicht sehr gefährlich?»
    «Eigentlich schon, aber ich habe gehört, dass sie bereits einige recht anspruchsvolle Touren gemacht haben. Sie sind wohl auch zu Hause viel in den Bergen unterwegs und entsprechend erfahren.»
    «Nun, im Speisesaal sind sie jedenfalls kurz angebunden und danach in den Salons nicht anzutreffen», sagte Lady Georgiana. Sie stand auf und begann im Zimmer auf- und abzugehen, die Arme wie ein junges Mädchen in die Seite gestemmt. Der fürs Eislaufen weit geschnittene Rock flatterte bei jedem Schritt. «Ich habe mich auch noch mit den beiden Schweden unterhalten, unglaublich langweilige Zeitgenossen. Sie können von nichts anderem als Spurbreiten und Antriebssystemen reden – wenn ich sie denn richtig verstanden habe.»
    Lieutenant Wyndham schien Mühe zu haben, ernst zu bleiben. Anna konnte es ihm nicht verdenken. Die Vorstellung, wie Lady Georgiana vergeblich versuchte, diese beiden Herren mit ihrem Charme von den Wundern der Ingenieurswissenschaft abzulenken, war zu komisch.
    «Von der Gräfin Tarnowska habe ich nicht viel gesehen.» Lady Georgiana war stehen geblieben, um ihre Krawatte zurechtzurücken. Vom Amüsement ihres Publikums hatte sie nichts bemerkt. «Sie zog sich nach dem Dinner angeblich mit Kopfschmerzen zurück, aber angesichts der Blicke, die ein paar der älteren Damen austauschten, würde ich wetten, die ‹Kopfschmerzen› haben einen Namen.»
    «Gibt es Hinweise, wer der Glückliche ist?» Der Lieutenant warf einen fragenden Blick zu Anna, die den Kopf schüttelte.
    Lady Georgiana nahm ihren ruhelosen Gang wieder auf. «Das habe ich versucht herauszufinden, aber ich fürchte, ich habe die Damen mit meinen Fragen schockiert. Anscheinend muss man sich das Recht, über andere Bosheiten zu verbreiten, durch Krähenfüsse und graue Haare verdienen. Das ist wie eine Geheimgesellschaft.»
    Der Lieutenant legte die Fingerspitzen aufeinander und meinte:

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