Chiffren im Schnee
üblicher Part in dem Spiel. Ich habe etwas mehr Talent für Konversation mit den Herren.»
Paget, die dabei war, die Knöpfe im Rücken des Kleides zu schliessen, schnaufte leicht, sagte aber nichts.
Anna beschloss, einmal zu versuchen, wie weit sie hier mit direkten Fragen gehen konnte. «Darf ich mich erkundigen, wie Mylady überhaupt zu diesem Spiel gekommen sind?»
Lady Georgiana liess sich vor dem Frisiertisch nieder. «Oh, ein wenig Langeweile und die richtigen Verbindungen. Ein Bekannter, der in einem dieser Ämter in Whitehall arbeitet, von denen niemand so richtig weiss, was dort so getrieben wird, fragte mich eines Tages, ob ich bei einem Dinner den Militärattaché einer befreundeten Nation unterhalten würde. Ich musste keine Fragen stellen oder irgendetwas herauszufinden suchen, sondern den guten Mann nur reden lassen und später einen Bericht darüber verfassen.»
«Und hat er geredet?»
«Das tun Männer doch immer.» Lady Georgiana strich sich mit dem kleinen Finger über die Augenbrauen. «Danach wurde ich öfters gebeten, meine Talente bei Diplomaten, Prinzen und anderen Herrschaften einzusetzen. Es ist eigentlich ziemlich langweilig, aber es erschien mir als gute Gelegenheit, einmal einen Blick auf die Welt meines Cousins zu erhaschen.»
Anna hatte nicht damit gerechnet, eine so klare Antwort zu bekommen. Sie versuchte ihr Glück gleich nochmals. «Ich habe immer noch nicht ganz begriffen, wer dafür gesorgt hat, dass Lieutenant Wyndham ausgerechnet ins Splendid kam, um sich zu erholen.»
Lady Georgiana zuckte mit den Schultern. «Das weiss ich auch nicht so genau. Aber ich vermute, das war eine der seltenen Gelegenheiten, wo man zusammenarbeitete. Das einzufädeln, ohne dass Lieutenant Wyndham misstrauisch wurde, war bestimmt nicht einfach.»
Paget platzierte einen juwelenbesetzten Kamm in den kunstvollen Chignon. Lady Georgiana drehte ihren Kopf hin und her, um den Effekt zu prüfen. Dann beugte sie sich über ihre Schmuckschatulle und suchte passende Perlohrringe hervor.
«Es erschien mir zu Beginn wirklich wie ein Spiel, da hat mein Cousin recht. Aber inzwischen habe ich schon begriffen, dass es sehr schnell bitterer Ernst werden kann. Die letzten Monate haben mich diese harte Lektion gelehrt, aber das kann ich ihm natürlich nicht sagen.»
Sie verstummte abrupt, stand auf und trat vor den Spiegel. Chiffon und Spitzen verhüllten Schultern, Oberarme und Brust, und ein breites, mit silbernen Kornblumen besticktes Satinband betonte die hoch angesetzte Taille. Sie hob die Arme, um ihre Frisur zurechtzurücken, und blieb für einen Moment so stehen, das Kinn etwas angehoben, der Blick leicht hochmütig. Sie wusste um ihre Macht. Dass sie alleine reiste, verstärkte den Effekt noch, doch was bei der Gräfin Tarnowska leicht verrucht wirkte, schien bei Lady Georgiana eher Ausdruck einer gewissen charmanten Eigenwilligkeit.
Sie senkte die Arme und lächelte Anna im Spiegel zu und erschien auf einmal wieder viel jünger und auch ein wenig ängstlich. «Selbstverständlich hätte ich Ihnen nichts von alledem erzählen dürfen. Aber Sie sind bereit, uns zu helfen, und ich will, dass Sie verstehen, womit Sie es zu tun haben. Wenn Sie Angst bekommen, dann sagen Sie es, und Lieutenant Wyndham und ich machen alleine weiter.»
Anna hatte tatsächlich Angst, aber sie hatte die Hatvanys nicht vergessen. «Mylady, es gehört zu meinen Pflichten, zu wissen, was in diesem Haus vor sich geht, und dafür zu sorgen, dass den Gästen nichts zustösst. Ich kann gar nicht anders, als Ihnen und Lieutenant Wyndham zur Seite zu stehen.»
«Ich weiss nicht, ob Herr Bircher mit Ihrem Pflichtverständnis einverstanden wäre, aber ich bin darüber sehr froh.» Lady Georgiana drehte sich nochmals vor dem Spiegel und meinte dann mit einem Augenzwinkern: «Nun werde ich mich aufmachen, die verschiedenen Herrschaften ein bisschen genauer zu studieren.»
Anna konnte sich gut vorstellen, wie man im Speisesaal auf ihre Erscheinung reagieren würde: die Herren mit sprachloser Bewunderung; die Damen eher sprachgewandt, aber erst nachdem Lady Georgiana den Raum verlassen hatte.
Bevor sie an diesem Abend zu Bett ging, holte Anna nochmals Madame Dubois’ Geschenk hervor. Sie versuchte, sich einen Chignon zu frisieren, doch sie hatte nicht Lady Georgianas Haar oder Pagets geschickte Hände. Der Kamm wollte nicht sitzen, und der Knoten löste sich bei der geringsten Bewegung. Sie flocht sich ihren üblichen Zopf für die
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