Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
Vom Netzwerk:
Christian dachte zuerst, sie suche einen Herzschlag, aber dann begriff er, dass es eine Abschiedsgeste war. Sie verharrte so; ihre Ruhe war beängstigend. Georgiana warf Christian einen besorgten Blick zu, er schüttelte nur stumm den Kopf.
    Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis der Bann endlich gebrochen wurde. Sie senkte die Hand und sah zu Christian.
    «Es muss letzte Nacht geschehen sein, als das Mädchen die angeblichen Gespenster hörte», sagte er. «Es hätte ihm nicht geholfen, selbst wenn Sie heute früh hier nachgesehen hätten.»
    «Sagen Sie mir nur, dass es nicht wahr ist.» Ihre Stimme hatte einen harten und unbeugsamen Klang.
    Georgiana trat zu ihr, wohl in der Absicht, Trost zu spenden. «Es ist furchtbar, wenn jemand so etwas tut.»
    Miss Staufer schüttelte ihre tröstende Hand ab. «Zu viel Zufall. Es ist nicht wahr.»
    Georgianas Lippen formten eine lautlose Frage.
    «Miss Staufer hat recht», meinte Christian. «Wir sollen denken, dass Ammann sich umgebracht hat. Aber er wurde ermordet.»
    Georgiana brauchte einen Moment, um das aufzunehmen. Dann blickte sie um sich und suchte nach den Spuren, die ihn zu seiner Schlussfolgerung geführt hatten.
    Er zeigte auf den Überseekoffer unter Ammanns Leiche. «Das Ding ist zu alt und morsch, um das Gewicht eines Mannes zu tragen. Der Koffer wurde nachträglich an diese Stelle geschoben. Dann sind Ammanns Knöchel aufgeschürft, und er riecht nach Alkohol. Ich vermute, er ist in einen Kampf geraten. Man hat ihn bewusstlos geschlagen oder ihm gewaltsam Schnaps eingeflösst und ihn dann getötet. Der Schnaps wurde auch über seine Kleider gegossen, um den Eindruck zu erwecken, er hätte sich betrunken und dann erhängt.»
    Georgiana trat langsam näher und schnupperte leicht. «Was ist das?»
    «Enzianschnaps», antwortete Miss Staufer tonlos.
    «Da ist noch etwas …» Georgiana schloss die Augen. «Ich kenne diesen Geruch, das ist das Parfum der Gräfin Tarnowska.» Verwirrt wandte sie sich zu Christian. «Aber das hätte sie doch niemals alleine bewerkstelligen können.»
    «Nein, dazu brauchte es mindestens zwei Männer. Sie haben nicht viele Spuren hinterlassen. Die Treppe und der Boden hier sind viel zu sauber; sie müssen gekehrt haben, damit man keine Fuss- und Schleifspuren erkennen kann. Ich bezweifle sehr, dass Sternenbachs Dorfpolizist an diesem Tod etwas Verdächtiges bemerken wird. Sollten ihm die aufgeschürften Knöchel auffallen, so wird es heissen, dass Ammann sich betrunken hat, in eine Prügelei geriet und dann etwas ‹Unbedachtes› tat. Das wird auch die Version sein, die Herr Bircher vorziehen wird, nicht wahr?»
    Er hatte die Frage an Miss Staufer gerichtet, die stumm nickte. Ein Selbstmord war schlimm genug, aber ein Mord? Herr Bircher würde alles daransetzen, dass nicht einmal der Hauch eines Zweifels aufkam. Ammann hatte sich hier im Suff erhängt; es gab keine offenen Fragen.
    «Was sollen wir jetzt tun?», fragte Georgiana.
    Christian antwortete bedrückt: «Wir werden das melden müssen. Es tut mir leid, aber am besten sollte das Miss Staufer tun. Ich werde hierbleiben und Wache halten. Und du solltest dich zurückziehen, wie es sich für eine Lady nach einem Nervenschock gehört.»
    Georgiana wollte protestieren, aber er schüttelte den Kopf. «Es macht mir nichts aus, hier bei ihm zu bleiben. Vor den Toten muss man sich nicht fürchten. Es sind die Lebenden, von denen Leid und Gewalt ausgeht.»
    «Und wie soll Miss Staufer erklären, dass wir hier oben nach Ammann gesucht haben?»
    «Es ist immer gut, möglichst nahe bei der Wahrheit zu bleiben. Ihr fiel wieder ein, was das Mädchen am Morgen erzählt hatte, und sie dachte sich, dass Ammann vielleicht betrunken auf den Dachboden getaumelt war, weil er dachte, dort wäre seine Kammer. Ich habe darauf bestanden, sie zu begleiten, um ihm an Ort und Stelle die Leviten zu lesen. Und da du dich um meinen Gesundheitszustand sorgtest, bist du ebenfalls mitgekommen.»
    Georgiana verlor jetzt langsam doch ihre Fassung; sie blickte immer wieder nach oben, um die Tränen zurückzuhalten. Die eisige Selbstbeherrschung von Miss Staufer machte Christian mehr Sorgen. Doch er wusste nicht, wie er diese Mauer aus Disziplin und Distanz hätte durchbrechen können. Schlimmer noch, er wollte es nicht – es war im Moment wichtig, dass sie ihre Rolle spielte.
    Und das tat sie auch. Sie kümmerte sich um Georgiana und führte sie mit sanfter Gewalt die Treppe hinunter. Christian blieb alleine

Weitere Kostenlose Bücher