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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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liess sich in den Fauteuil fallen.
    «Er will davon nichts wissen. Ich bin mir nicht sicher, ob das klug ist. Aber ich muss ihm wohl vertrauen.»
    «Mylady, ich muss Sie wegen gestern Abend etwas fragen.»
    «Natürlich – Sie wollen wissen, wer alles in der Bar war, nicht wahr?» Lady Georgiana strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. «Darüber habe ich die ganze Zeit nachgedacht. Christian hat mir gesagt, Herr Doktor Reber hätte sich beim genauen Todeszeitpunkt nicht festlegen wollen, vermute aber, dass es in den Stunden nach Mitternacht geschah. Zu dem Zeitpunkt war die Feier in vollem Gange.»
    «Hätten Sie bemerkt, wenn jemand längere Zeit gefehlt hätte?» Die Frage war nicht sehr taktvoll formuliert. Anna hatte nicht andeuten wollen, dass sie die Lady der Trunkenheit verdächtigte.
    Doch Lady Georgiana war nicht beleidigt. «Nein, ich kann unmöglich für alle Anwesenden bürgen, dazu war die Feier zu lebhaft. Nur für die Herren Offiziere – die hatten sich nämlich bereits früh am Abend ein unmögliches Zeremoniell ausgedacht, um ihre ‹unzertrennliche Brüderschaft› zu beschwören. Sie haben sich mit einer Girlande von einem der Weihnachtsbäume in ‹unverbrüchlicher Freundschaft› aneinandergekettet. Das Band durfte nicht brechen, deshalb konnten sie auch nicht tanzen, was die beiden Mesdemoiselles Gérard sehr verärgerte. Aber es wurde noch schlimmer. Ein gemeinsames Austreten war den Herren zu peinlich, weswegen sie jeweils ein Fenster öffneten und eine ‹kameradschaftliche Mauer› bildeten.»
    Anna seufzte leise, und Lady Georgiana zuckte mit den Schultern. «Wenn Männer erst einmal betrunken genug sind, entwickeln sie einen ganz eigenen Sinn für Logik. Ich wäre nicht geblieben, hätte ich nicht gehofft, dass der Alkohol die Zungen löst und irgendjemand redselig wird. Deshalb habe ich auch kaum getrunken. Ich fürchte aber, der Zimmerpalme hinter meinem Stuhl ist das nicht sehr bekommen.»
    «Und die Herren haben es geschafft, das Band nicht zu zerreissen?»
    Lady Georgiana nickte. «Unglaublich, aber wahr. Bevor sie am Morgen auf ihre Zimmer stolperten, haben sie mich gebeten, die Girlande zu lösen. Denn, so meinte einer von ihnen in einem fehlgeleiteten Anfall von Poesie, das Band, das Männer verbindet, kann nur von einer Frauenhand gelöst werden. Danach wurden sie ganz rührselig.»
    «Du liebe Zeit!» Mehr brachte Anna nicht heraus; das lächerliche Verhalten der Offiziere nahm eine grosse Last von ihr.
    «Christian hat sich weniger diplomatisch ausgedrückt, aber auch er kann nicht in Abrede stellen, dass nur sehr wenige Menschen im Hotel ein besseres Alibi als die Herren Offiziere haben dürften.»
    «In der Tat», liess sich Lieutenant Wyndhams Stimme von der Tür her vernehmen. Er war bleich und hatte dunkle Schatten unter den Augen.
    Lady Georgiana musterte ihn besorgt. «Warum bist du nicht im Bett geblieben?»
    «Weil das auch nicht viel hilft.» Er bewegte sich langsamer als sonst durch den Raum und liess sich vorsichtig in seinen Sessel sinken.
    «Vielleicht solltest du …» Sie beendete den Satz nicht.
    Er schüttelte den Kopf. «Etwas Morphium nehmen? Und mir das Hirn vernebeln, gerade dann, wenn ich einen klaren Kopf brauche?»
    «Ich bin immer noch der Meinung, du hättest darauf beharren sollen, dass Ammanns Tod als Mord untersucht wird.» Lady Georgiana klang trotzig, so als ob die beiden zuvor gestritten hätten.
    «Georgiana», sagte er geduldig, «ich habe dir bereits erklärt, dass das nichts gebracht hätte. Der Patron hätte meine Theorie als weitere Folge der Morphiumsucht betrachtet. Und der Dorfpolizist wäre dieser Ansicht gefolgt. Aber es hätte eine Menge unangenehmer Fragen gegeben, auf die wir keine Antworten haben. Ich konnte nicht viel mehr tun, als dem Wachtmeister die Fragen zu diktieren, um die er sich kümmern sollte. Vielleicht wird er ja herausfinden, wo Ammann gestern Abend war. Aber wenn wir wissen wollen, wer ihn getötet hat, müssen wir schon selbst nach Antworten suchen.»
    «Und wo sollen wir beginnen?»
    «Die einzige Spur, die wir haben, ist die Gräfin. Wir können sie nicht einfach befragen, aber es würde sich wohl lohnen, das Zimmer der Dame einmal gründlich zu durchsuchen.»
    «Aber wie sollen wir denn in ihr Zimmer kommen?»
    «Um Himmels willen, Georgiana!», meinte er scharf, «reiss dich zusammen. Dem armen Jungen ist nicht damit geholfen, dass du dich nun auf einmal in ein hirnloses Geschöpf verwandelst. Du

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