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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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niemand hat geholfen! Das ist die grösste Sünde, der wir uns alle schuldig machen: die Gleichgültigkeit.»
    «Eine sehr harte Sicht», meinte Christian.
    «Es ist eine harte Welt. Wissen Sie, was der Pfarrer zu meiner Mutter sagte, kurz bevor sie starb? Dass Gott niemandem mehr auferlegt, als er tragen kann. Das war sein Trost: noch einmal mehr Schuld auf Mathis zu laden.»
    «Es tut mir leid», sagte er nochmals und wusste, es war nicht genug.
    Sie schien ihn nicht gehört zu haben. «Danach habe ich Frau Hoffmann erzählt, dass ich alles abbrenne, wenn ich noch länger zu Hause bleiben muss. Ich wusste, wenn man so etwas Schreckliches sagt, dann stecken sie einen gleich in die Besserungsanstalt. Das war mir ganz recht, ich wollte einfach nur fort.»
    Sie wäre jetzt wohl kaum hier, wenn dieser verzweifelte Plan aufgegangen wäre. Herr Bircher würde eine ehemalige Insassin einer Besserungsanstalt nicht mal als Küchenmädchen anstellen. Es musste irgendwo in dieser dunklen Geschichte auch einen Funken Licht geben.
    «Ich weiss nicht, was Frau Hoffmann dem Gemeinderat und dem Pfarrer erzählt hat, aber man hat mich weggeholt und dafür gesorgt, dass ich in einem Hotel Arbeit erhielt.» Sie hielt inne, vielleicht selbst darüber erstaunt, wie viel sie eben preisgegeben hatte.
    Als er Ammanns Tod als Selbstmord durchgehen liess, hatte Christian nicht geahnt, wie viel er von ihr verlangte. Sie war seinen Anweisungen gefolgt, hatte die Scharade mitgespielt und dafür gesorgt, dass alles seinen gewohnten Gang nahm. Wie viel sie das gekostet haben mochte, wollte er sich gar nicht vorstellen. Aber er verstand nun, dass er ihr mehr geben musste, als einfache Versprechen, dass niemand mehr zu Schaden kommen würde – Versprechen, die er nicht halten konnte.
    Inzwischen hatte die Winterdämmerung eingesetzt. Christian beugte sich zu seiner Leselampe und machte das Licht an.
    «Anna, setzen Sie sich bitte.»
    Sie schien die ungewohnte Anrede nicht bemerkt zu haben und kam seiner Bitte nach.
    «Ich weiss, es ist furchtbar, dass Ammann wegen ein paar Seiten Papier sterben musste und dass wir seinem Vater deswegen nun auch noch unnötigen Schmerz zufügen. Amman fiel einem Kampf zum Opfer, der sich im Moment noch in den Schatten abspielt – dort, wo niemand richtig hinsieht, obwohl es gar nicht so schwierig wäre, die Zeichen zu erkennen. Die europäischen Mächte sind geradezu in einem Fieberwahn. Sie rüsten auf, und sie beäugen sich misstrauisch. Sie schliessen Bündnisse, und jeder versucht, sich in eine gute Position zu bringen. Es wird Krieg geben – schon bald. Und es wird kein kurzer, schneller Krieg werden. Er wird lange dauern und mehr Menschenleben fordern, als ich mir auszumalen wage. Viele junge Männer werden Ammann folgen. Aber davon wollen jene, die an der Macht sitzen, nichts wissen. Sie glauben, man könne den Krieg beherrschen – ihn wie einen wütenden Hund loslassen und dann wieder an die Kette nehmen. Dieses Mal wird es ihnen nicht gelingen. Aber um sich selbst davon zu überzeugen, müssen sie sich jeden nur erdenklichen Vorteil sichern. Und glauben Sie mir, eine Chiffre, wie sie Professor Hatvany entwickelt haben will, wäre ein grosser Vorteil. Wissen und Information selbst sind im Krieg zu Waffen geworden, die unbedingt geschützt werden müssen. Eine Chiffre, die das kann, ist in den Augen von Kriegsministerien, Generalstäben und Geheimdienst-Bureaus schon einiges wert; auch ein Menschenleben. Irgendjemand hier im Haus ist bereits so weit gegangen, und der Himmel allein weiss, was als Nächstes geschieht, wenn diese Leute nicht aufgehalten werden. Dafür müssen wir leider auch Dinge tun, die uns zuwider sind.»
    «Das klingt aber so, als würde auf lange Dauer nichts, was wir hier tun, einen Unterschied machen», meinte sie. Ihr Blick war starr auf die Schale mit den weissen Blumen gerichtet, deren Blütenblätter sich am Rande leicht zu verfärben begonnen hatten.
    «Anna, denken Sie an Ihre eigenen Worte. Gleichgültigkeit ist etwas Schreckliches. Es ist wahr, nichts, was wir hier tun können, wird diese Maschinerie, die bereits vor langer Zeit in Gang gesetzt wurde, noch aufhalten. Das habe ich bereits vor einiger Zeit erkannt. Aber hier und jetzt muss ich doch versuchen, das Unheil im Kleinen zu bekämpfen, zumal ich auch dafür verantwortlich bin.»
    Sie blickte von den Blumen hoch. «Sie können doch nicht die Verantwortung für etwas übernehmen, das hinter Ihrem Rücken geplant

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