Chiffren im Schnee
zwar noch gute Stücke, die einfach in Fetzen geschnitten wurden! Das gefällt mir gar nicht.»
«Mir auch nicht.» Lady Georgiana hockte sich auf die Fersen und legte die Lampe auf ein Regalbrett. «Das Benzin wurde wahrscheinlich gestohlen. Sie sagten ja, es gäbe hier im Dorf ein paar Automobile. Da werden die Besitzer auch Benzin vorrätig haben.»
«Und die Kissen und Handtücher stammen aus einer der Wäschekammern», sagte Anna.
Staubkörner wirbelten im Lichtstrahl, den die Lampe in die Remise warf. Anna starrte auf den seltsamen Tanz, während sie langsam zu einer ungeheuerlichen Schlussfolgerung kam. Wenn man das Benzin nicht für ein Automobil benutzen wollte, dann kam es noch für einen anderen Verwendungszweck in Frage.
Lady Georgiana schien ähnliche Gedanken zu hegen. Sie liess das Stück Stoff, das sie in den Händen hielt, fallen und blickte zu Anna. «Ein Feuer? Aber wozu?»
Anna war ihr einen Schritt voraus. «Die Remise steht nahe am Hotel. Wenn sie brennt, müssten die Gäste ihre Zimmer räumen, bis die Feuerwehr den Brand gelöscht hat – zumindest die Gäste des Westflügels, wo die Kleine Suite liegt. Nachdem Lieutenant Wyndham kaum das Zimmer verlässt und auf Eindringlinge schiesst, klang das wohl nach einem guten Plan.»
Lady Georgiana erhob sich abrupt. «Aber das ist doch gefährlich. Was, wenn es nicht gelingt, ein Ausbreiten des Feuers zu verhindern? Das ganze Hotel könnte abbrennen.»
Anna nickte grimmig. «Wenn ein Gebäude wie das Splendid erst einmal Feuer gefangen hat, ist die Aussicht auf Rettung gering. Und im Winter ist es viel schwieriger, Wasser herbeizuschaffen. Der Bach neben dem Park führt jetzt kein Wasser. Löschwasser müsste aus dem Grundwasserspeicher gepumpt werden, und bei diesem Wetter frieren Leitungen und Pumpen schnell ein.»
«Oh mein Gott, wer tut so etwas?»
«Jemand, der auch unbesehen einen jungen Mann umbringt, der ihn bei den Vorbereitungen zur Brandstiftung ertappt.»
Lady Georgiana blickte um sich. «Sie haben alles hiergelassen, so als hätten sie den Plan nicht aufgegeben.»
«Nun», meinte Anna bitter, «vorletzte Nacht brachte Jost wohl ihre Pläne durcheinander. Und in der letzten Nacht fürchteten sie vielleicht, der starke Schneefall würde verhindern, dass das Feuer allzu heftig brennt.»
Lady Georgiana reckte sich nach einem der beiden anderen Kanister. «Also gut, den Feuerteufeln legen wir das Handwerk.» Sie stemmte den schweren Behälter zu Boden. «Wir können die Kanister wohl nicht gut ins Splendid schleppen. Wo können wir das Zeug am besten ausschütten?»
Anna kümmerte sich um den letzten Kanister. «In den vielen Schnee, der im Bach liegt. Es wird in den Massen versickern.»
Sie trugen die drei Kanister nach draussen, schraubten sie auf und schütteten den Inhalt in den Schnee. Das Benzin frass sich in die weissen Massen und verschwand, nur sein beissender Geruch blieb zurück. Als alles abgeflossen war, schob Lady Georgiana Schnee über die Stelle, wo das Benzin tiefe Trichter hinterlassen hatte.
«Wenn es so weiterschneit, wird man in ein, zwei Stunden keine Spuren mehr sehen.» Befriedigt wollte sie die leeren Kanister zurück in die Remise tragen.
Doch Anna hielt sie auf. «Warum sollten wir sie darauf aufmerksam machen, dass ihr Plan entdeckt wurde, bevor sie ihn in die Tat umsetzen wollen? Wenn wir Schnee in die Kanister füllen, wird er schmelzen, und dann werden die Feuerteufel versuchen, mit Wasser einen Brand zu legen.»
«Oh, das ist zu gut!»
Begeistert liess sich Lady Georgiana auf die Knie sinken und schaufelte Schnee in den Einfüllstutzen des Kanisters. Anna zeigte ihr, wie es schneller ging. Man brauchte den Stutzen nur in einen Schneewall zu schieben, und er füllte sich von selbst. Danach musste man den Pfropfen nur noch mit dem Finger nach unten drücken und die Prozedur wiederholen. Fast war es, als wären sie Kinder beim unbeschwerten Spiel, nur dass es bitterer Ernst war. Als alle Kanister wieder gefüllt waren, brachten sie sie in die Remise zurück. Lady Georgiana breitete die Decke darüber aus und achtete sorgfältig darauf, dass alles so aussah, wie sie es vorgefunden hatten. Als sie bemerkte, dass Anna den Schal der Gräfin in der Hand hielt, sagte sie: «Warum machen Sie sich die Mühe? Die Dame hat das kaum verdient.»
Anna zuckte mit den Schultern. «Sie versucht nur, sich und ihre Tochter durchzubringen. Der Schal ist wertvoll. So ein Stück würde mich mindestens zwei
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