Chiffren im Schnee
erinnerte sie an ein prächtiges Ornament.
Nun suchte Lady Georgiana wieder einmal nach ihrem Täschchen, das Paget ihr wortlos reichte. Sie wandte sich, sichtlich nervös, nochmals Anna zu. «Können Sie so gegen neun Uhr nochmals in der Kleinen Suite vorbeikommen? Es gibt da etwas, das ich mit Christian besprechen muss. Ich möchte gerne, dass Sie auch anwesend sind.»
Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel und eilte, ohne mehr dazu zu sagen, aus dem Zimmer. Paget war diesem Gespräch aufmerksam gefolgt. Selbstverständlich würde sie nicht verraten, um was es gehen mochte. Anna verabschiedete sich von der Zofe und ging nach oben in ihre Kammer.
Als Anna zur angegebenen Zeit in der Kleinen Suite eintraf, war von Lady Georgiana noch nichts zu sehen. Der Lieutenant stand am Fenster neben seinem Sessel und blickte in die verschneite Nacht. Das einzige Licht im Raum stammte von der Leselampe.
Anna wusste, dass er genauso wenig wie sie ihr letztes Gespräch unter vier Augen vergessen konnte. Er bemühte sich, dass kein peinliches Schweigen aufkam, und erzählte ihr von Herrn Ganz’ Versuch, ihm einen neuen Valet zu suchen. Anna war nicht der Meinung, dass er keine Hilfe brauchte, aber das zählte angesichts der Gefahr, in die ein neuer Valet geraten könnte, tatsächlich nicht viel.
Er seufzte. «Diese Angelegenheit kann nicht schnell genug zu einem Ende kommen.»
«Und was, wenn die Chiffre einfach nicht auftaucht?»
«Eine gute Frage. Glauben Sie mir, ich habe mir darüber viele Gedanken gemacht.»
In diesem Moment klopfte es, und Lady Georgiana trat ein. «Oh gut, Sie sind schon hier, Miss Staufer.»
Sie schloss die Tür hinter sich. «Ich habe mich davongestohlen, weil ich mit dir reden muss, Christian. Wir haben ein Problem: Cecil ist eingetroffen.»
Der Lieutenant holte tief Luft, und Anna hatte den Eindruck, dass er nur mit Mühe einen Fluch zurückhielt. «Das fehlte uns gerade noch! Was tut er denn hier?»
Lady Georgiana zuckte mit den Schultern. «Ich sagte ja, London würde noch jemanden schicken, aber ich hätte nie gedachte, dass das Cecil sein wird. Ich erhielt kurz nach meiner Ankunft ein Telegramm, das mich darüber in Kenntnis setzte. Anscheinend konnte er die richtigen Leute davon überzeugen, dass er unbedingt auch einmal Erfahrungen im Feld als Agent sammeln müsste. Ich habe nichts gesagt, weil ich wusste, was du davon halten würdest. Ich hoffte, dass wir das Rätsel lösen könnten, bevor er hier ist. Er kam vorgestern Abend in Basel an, aber dann war die Bahnstrecke blockiert, und er musste mit der Weiterreise zuwarten.»
«Was hast du ihm alles erzählt?» Er setzte sich in seinen Sessel.
«Ich musste zuerst einmal sehen, was er bereits alles weiss, und habe ihn deshalb hingehalten. Er wollte auch gleich mit dir sprechen, aber ich sagte ihm, es würde dir nicht gut gehen und du könntest heute keine Besucher empfangen. So bin ich ihm auch für einen Moment entkommen: Ich bin nur hier, um zu sehen, ob du für die Nacht noch etwas brauchst.»
Im Licht der Leselampe beobachtete Anna seine Hände, aber dieses Mal bemerkte er es nicht. Er schien nachzudenken, schliesslich sagte er zu Lady Georgiana: «Gut, bring ihn morgen früh vorbei, und zwar so, dass er hier mit Miss Staufer zusammentrifft.»
Lady Georgiana spielte nervös mit ihrem Täschchen. «Er wird das nicht gutheissen.» Zu Anna gewandt meinte sie: «Verzeihung.»
Der Lieutenant machte eine ungeduldige Bewegung. «Ich heisse ebenfalls vieles nicht gut, was Cecil tut. Er wird sich arrangieren müssen. Oder erwartest du vielleicht, dass wir Miss Staufer jetzt einfach ignorieren und im Dunkeln lassen? Es ist dir vielleicht entgangen, aber sie ist inzwischen auch in Gefahr, und zwar vor allem deshalb, weil sie uns hilft.»
«Das weiss ich natürlich, und ich hatte keinesfalls im Sinn, Miss Staufer nicht mehr einzuweihen. Ich dachte einfach, wir könnten es tun, ohne dass Cecil davon erfährt.»
Auf keinen Fall – das ist zu kompliziert. Je mehr Geheimnisse man voreinander hat, desto grösser die Gefahr von Missverständnissen. Es könnte Miss Staufer in erhebliche Schwierigkeiten bringen, wenn Cecil bemerkt, dass sie Dinge tut, die nicht zu ihren Pflichten gehören.»
«Natürlich, du hast recht. Seien Sie mir nicht böse, Miss Staufer.»
Anna schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, doch Lady Georgiana war schon wieder auf dem Weg zur Tür. «Ich gehe jetzt besser, sonst taucht Cecil noch hier auf, um zu sehen,
Weitere Kostenlose Bücher