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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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kam überaus gelegen. Anna eilte zur Remise. Lady Georgiana erwartete sie bereits vor dem grossen Tor, eine klobige Taschenlampe in der Hand. Vielleicht war es das, was der Lieutenant mit seiner rätselhaften Bemerkung gemeint hatte. Anna schüttelte sich den Schnee aus den Haaren.
    «Das Tor ist nicht verschlossen», sagte sie.
    Gemeinsam zwängten sie sich durch einen schmalen Spalt, da sie den Torflügel wegen des vielen Schnees nicht richtig öffnen konnten. Im Innern der Remise herrschte Dämmerlicht. Lady Georgiana machte ihre Taschenlampe an. Die Kutschen standen an der hinteren Wand, im Winter wurden nur die Schlitten genutzt. Im Moment war nur ein Schlitten auf Ausfahrt, der andere stand vor ihnen. Fast alle Pferde im Tal waren mit Schneeräumung beschäftigt, und Fuhrhalter Meier hatte nur eines seiner Tiere für das Splendid freistellen können. Die meisten Gäste zogen es bei diesem Wetter eh vor, in der Wärme des Hotels zu bleiben.
    In einem Regal an der Wand stapelten sich Decken und Planen. Der Strahl der Taschenlampe fiel auf etwas leuchtend Rotes, sie traten näher: Ein Samtschal mit goldenen Quasten lag fein säuberlich gefaltet neben alten Wolldecken. Herr Muff musste ihn am Morgen entdeckt und hierhingelegt haben, bevor er ausfuhr. Anna faltete ihn auseinander, eine Wolke von Parfum entstieg dem Gewebe.
    «Der Teil ihrer Geschichte stimmt also.» Lady Georgiana liess den Strahl der Lampe weiter herumwandern, während sie sich die Wände entlang vorwagte. Die Remise war mit allerlei Gerätschaften vollgestellt: Auf einem Zwischenboden waren Schlitten für Tailing-Partys gelagert; ein Tretschlitten, den die Pagen für Botengänge ins Dorf nutzten, lehnte an einer Wand. Blechbüchsen mit Lederfett und Flaschen mit Holzpolitur, fein säuberlich in langen Reihen geordnet, Bürsten in Körben und allerlei Werkzeug tauchten im Strahl der Taschenlampe auf.
    Anna fragte sich, wonach sie Ausschau halten sollten. Selbst wenn Professor Hatvanys Manuskript einmal hier gewesen war, so würden Josts Mörder es inzwischen mitgenommen haben. Und sie würden kaum so zuvorkommend gewesen sein, ein einzelnes Blatt liegen zu lassen. Das Licht glitt über eine Wolldecke, die achtlos in ein Regal gestopft worden war. Anna griff nach Lady Georgianas Hand und brachte den Strahl zurück zu der Stelle.
    Herr Muff mochte zwar gegen etwas Entgelt grosszügig mit dem Schlüssel umgehen, aber er war sehr ordentlich.
    Anna musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um die Decke zu erreichen. Sie zog sie fort und enthüllte etwas silbern Glänzendes.
    «Was denn? Das sind nur ein paar Benzinkanister», sagte Lady Georgiana leise.
    Sie hatte recht, es waren drei Stahlbehälter in der eigenartigen dreieckigen Form, die an eine Damentasche erinnerte, mit einem Einfüllstutzen in einer Ecke und einem Henkel oben. Anna zog einen der Behälter zu sich heran. Er war schwer, ein leises schwappendes Geräusch war zu hören. Der Kanister war bis oben voll.
    «Niemand im Splendid braucht so viel Benzin», sagte sie verwundert, während ihr Lady Georgiana dabei half, einen der Behälter herunterzuholen. Anna schraubte den Deckel ab und schnupperte.
    «Benzin wird in der Lingerie und auch im Haus zum Flecken-Entfernen benutzt. Doch immer nur in kleinen Glasflaschen aus der Apotheke. Der Obergärtner, Herr Brehm, hat vielleicht etwas mehr in seinen Schuppen, weil er es zum Ungeziefer-Vernichten braucht. Aber das hier ist viel zu viel, sicher an die fünf Liter – ausser man hat ein Automobil, und Herr Bircher hat keines. In ganz Sternenbach gibt es nur drei Stück, und im Winter sind sie alle eingestellt.»
    Eines der Automobile gehörte Herrn Lenz, dem verhassten Konkurrenten des Grand Palace. Anna konnte sich noch gut an die Schadenfreude des Patrons erinnern, als das Gefährt beim ersten leichten Schneefall von der Strecke abgekommen und hilflos in einem Erdwall stecken geblieben war.
    Lady Georgiana beugte sich vor und zog an einer Holzkiste unter dem Regal, aus der etwas Weisses hervorblitzte. Es war eine jener Kisten, in denen Champagner angeliefert wurde. Doch sie enthielt nicht nur die Holzwolle, mit der die Flaschen geschützt wurden. Die Kiste war bis oben mit Lappen vollgestopft. Lady Georgiana blickte zu Anna und fragte: «Braucht der Kutscher das etwa zum Reinigen der Kutschen?»
    Anna hob einen der Stofffetzen hoch und meinte empört. «Das sind keine Putzlappen! Das sind Handtücher und Kissenbezüge aus dem Splendid – und

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