Chili und Schokolade
Schritten durchschreitet er den Raum.
«Nimm doch gleich den Abfall mit», rufe ich erbost hinterher.
Aber da ist er schon an der Tür, wo er beinahe mit dem Pizzalieferanten zusammenknallt.
Kurz darauf höre ich ihn mit quietschenden Reifen davonfahren. Man könnte meinen, es brennt.
Noch ganz benommen von dieser Auseinandersetzung bereite ich mir erst mal einen doppelten Espresso zu. Niemals hätte ich geglaubt, dass eine neue Frisur Konrads Grau-Weiß-Welt so erschüttern könnte. Er hat nicht ein einziges Mal: «Wie dem auch sei» gesagt. Das kann nur heißen, dass ich die richtigen Knöpfe gedrückt habe. Ich habe ihn an seiner empfindlichsten Stelle erwischt. Ein Jahrhundert-Ereignis!
Nachdenklich schlürfe ich meinen Kaffee und lasse dazu eine Zigarette im Aschenbecher verglimmen. Mein Blick streift über die langweilige Grau-Weiß-Welt, in der ich lebe. Wie soll es jetzt bloß weitergehen?
Das Klingeln des Telefons holt mich aus meiner Starre.
«Hey, Evelyn», begrüßt mich Ulla. «Ich wollte hören, ob deinem Mann die neuen Sachen gefallen haben?»
«Äh, nein … nicht wirklich», antworte ich zögernd.
«Wie bitte? Dann muss der Typ ja blind sein.»
«Könnte man durchaus sagen», erkläre ich seufzend und berichte anschließend von dem Zerwürfnis mit Konrad, von den gegenseitigen Vorwürfen, von Tränen und Wut. Und ich berichte von meiner Streitlust und der Verteidigung meiner Würde.
«Oberprima! Du hast dich wirklich verändert», lobt mich Ulla. «Du bist nicht mehr die alte Evelyn, die alles hinnimmt. Du bist jetzt Eve, eine Femme fatale. Das wäre übrigens ein super Callgirl-Name.»
Ich muss lachen. Gespräche mit Ulla machen einfach gute Laune. «Ich wollte dich auch anrufen und fragen, wann du Zeit für eine neue Shopping-Tour hast. Ich weiß einfach nicht, wohin mit mir und –»
«Jederzeit», unterbricht sie mich. «Aber nur, wenn du dir die Callgirl-Sache durch den Kopf gehen lässt – wo du doch gerade so in der Stimmung für Veränderung bist. Mein Onkel hat nämlich schon nach dir gefragt …»
«Du hast ihm von mir erzählt?», fahre ich sie erschrocken an.
«Aber nein, nicht direkt von dir», beruhigt mich Ulla. «Ich habe nur angedeutet, zufällig eine Bekannte aus der Callgirl-Agentur getroffen zu haben, die sich beruflich neu orientieren möchte. Abgesehen von der Branche, trifft die Beschreibung doch genau auf dich zu, oder?», kichert sie ausgelassen. «Genau genommen hast du ja seit einem viertel Jahrhundert denselben Job. Reizt es dich nicht, mal eine andere zu sein? Eine Femme fatale eben.»
«Ja … vielleicht», antworte ich zögernd. «Aber ein paar neue Klamotten und die Änderung meines Vornamens machen noch lange kein Callgirl aus einer ganz normalen Hausfrau.»
«Kein Problem», entgegnet Ulla vergnügt. «Dann ändern wir eben auch noch deinen Nachnamen. Wir findest du … Lacombe? So hieß meine Französischlehrerin. Eve Lacombe! Wie hört sich das an?»
«Mm …», murmle ich.
Ulla lässt nicht locker. «Ich muss jetzt leider los. Aber versprich mir, dass du wirklich und ernsthaft darüber nachdenkst, Eve Lacombe!»
[zur Inhaltsübersicht]
15
Der Sonntag beginnt mit einem tief verhangenen, dunkelgrauen Himmel. Ich habe eine unruhige Nacht im Kinderzimmer verbracht, weil Konrad – wie nicht anders zu erwarten war – nicht mehr aufgetaucht ist. Vermutlich hat er im Büro geschlafen. Oder in der Wohnung von «Dr. Lent».
Es sieht nach einem ungemütlichen Tag aus, den ich mit JETI -Mütze auf dem Kopf und einem heißen Kaffee im Bett verbringen werde. Ganz leise meldet sich anfangs noch «Evelyn Meyers» schlechtes Gewissen. Aber dann stelle ich mir vor, wie es wäre, ein Callgirl zu sein – wie ich es Ulla versprochen habe. Und diese Eve Lacombe würde ohne Skrupel schon mal einen ganzen Tag im Bett vertrödeln. Sie würde sich eine zweite Kanne Kaffee genehmigen und ihr glamouröses und natürlich sorgenfreies Leben genießen.
Das fordernde Brummen der Überwachungsanlage unterbricht meine Tagträumerei. Als Eve Lacombe ignoriere ich den unangemeldeten Besucher.
Kurz darauf summt es erneut. Wenn das Konrad ist und er seinen Schlüssel vergessen hat, wäre das ein guter Witz. Doch vor der Tür steht meine Schwiegermutter, ganz in Schwarz gekleidet – mit einem Strauß weißer Lilien.
Beerdigungsblumen!?
«Alma!», begrüße ich sie verwundert.
Sorgenvoll blickt sie mich an. «Du liegst noch im Bett, Evelyn.»
Mon dieu!,
Weitere Kostenlose Bücher