Chili und Schokolade
was hat sie nur? Sie nennt mich heute nicht «mein Kind»? Das gibt mir zu denken. Und dieser Überraschungsbesuch? Dazu noch Blumen – irgendwie beunruhigend.
«Äh …, Konrad ist nicht zu Hause», stottere ich. «Aber komm doch herein.» Während sie bereits forsch an mir vorbeistürmt, frage ich: «Möchtest du ablegen?»
Huldvoll nickend überreicht sie mir den Strauß und lässt sich aus dem dunklen Trenchcoat helfen. Darunter kommt ein schwarzer Hosenanzug zum Vorschein – ganz im Stil der Architektenfamilie.
Suchend blickt sie sich um. «Wo ist denn Oscar?»
Dass sie mich unbedingt an meinen armen Hund erinnern muss … «Er wurde vor ein paar Wochen überfahren. Hat Konrad es nicht erwähnt?», frage ich gereizt.
«Oh, das tut mir leid … Konrad hat es wohl vergessen.» Nach dieser lapidaren Erklärung betrachtet sie mich prüfend. «Du siehst irgendwie anders aus … na ja, kein Wunder mit dieser albernen Mütze. Fehlt dir was?»
Ja! Mir fehlen die Worte. Meine sonst so mürrische Schwiegermutter ist ungewöhnlich freundlich und erkundigt sich nach meinem Gesundheitszustand.
Irritiert hänge ich ihren Mantel in den Garderobenschrank, nehme meine Mütze ab und versuche mein Haar notdürftig mit den Fingern zurechtzuzupfen.
Alma schreitet derweil Richtung Esstisch. «Darf ich mich setzen?»
Derart übertrieben höfliches Benehmen kenne ich ja gar nicht von ihr. Was ist nur in sie gefahren?
«Selbstverständlich, bitte, nimm Platz», entgegne ich nicht weniger höflich und versorge die Lilien.
Alma lässt sich auf einem der Stühle am Esstisch nieder, deponiert ihre schwarze Handtasche neben sich und betrachtet meinen neuen Haarschnitt.
«Steht dir ausgezeichnet … wirklich sehr hübsch, Evelyn», stellt sie freundlich fest und deutet dann auf die Pizzakartons, die noch von gestern auf dem Küchentresen stehen: «Dein Mittagessen? Reicht das auch für uns beide?»
Das wird ja immer besser! Alma, die pingeligste Esserin, die ich kenne (außer Konrad), hätte offensichtlich gerne ein Stück Pizza!
«Oh … die ist von gestern.»
Schmunzelnd winkt sie ab. «Hast du eine Mikrowelle?»
Erstaunt nicke ich.
Almas dunkelblaue Augen blitzen auf. «Na also, wärm sie auf! Muss ja keiner erfahren.»
Um nicht in verzweifeltes Gelächter auszubrechen, werde ich geschäftig. Ich stelle die Pizza in die Mikrowelle, nehme Besteck aus der Schublade und suche nach Stoffservietten. Als ich die Pizza serviere und ihr das Besteck nebst einer Serviette dazulege, überrascht mich Alma erneut.
«Junkfood muss man doch mit der Hand essen, Evelyn. Ein scharfes Messer und Papierservietten genügen völlig», unterrichtet sie mich.
Alma, die sonst immer ganz genau auf Manieren achtet, will sich die Finger fettig machen!
Sprachlos hole ich das gewünschte Messer und setze mich dann zu ihr. Resolut wie eine italienische Mama schneidet Alma die Pizza geübt in vier Teile und beißt mit sichtlichem Appetit in das erste Stück, als hätte sie ewig nichts gegessen. Nach einigen Sekunden genüsslichen Kauens erfahre ich endlich, warum sie hier ist.
«Konrad kam gestern Abend völlig aufgelöst zu uns in die Villa. Er behauptete, du hättest einen Nervenzusammenbruch erlitten, würdest wirres Zeug reden und das Haus verkommen lassen.»
«Ich lasse das Haus nicht verkommen!», verteidige ich mich schroff, gebe aber zu, dass wir uns gestritten haben.
«Ach, mach uns doch ein Fläschchen Wein auf.»
Was ist denn das für ein Wochenende? Sind jetzt alle verrückt geworden? Erst der heftige Zusammenprall mit Konrad, dann Pizza und Wein mit der Schwiegermutter. Mich kann nichts mehr überraschen, denke ich. Doch kaum hat Alma das erste Glas geleert, eröffnet sie mir, dass sie ihrem Sohn kein Wort glaube.
«Ich bin auf deiner Seite, Evelyn. Und ich bin hier, um mir deine Version anzuhören.»
Unglaublich! So sachlich wie möglich erzähle ich von Konrads anhaltender Übellaunigkeit, vom eigentlichen Grund unseres Krachs, dem Verdacht auf Untreue und dieser seltsamen Namensverwirrung.
«Ich bin hundertprozentig sicher, dass ich mich nicht verhört habe. Schließlich hat er auf meine Nachfrage bestätigt, dass der Schlüssel unserm Hausarzt gehört. Er lügt, denkst du nicht auch?»
Nachdenklich greift Alma zur Weinflasche und füllt ihr Glas auf, bevor sie antwortet. «Sein Verhalten ist in der Tat äußerst suspekt. Kein Wunder, dass du rebellierst. Er hat übrigens heute Nacht bei uns geschlafen … Also,
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