Chili und Schokolade
bitte sie, ansonsten nach ihrem altbewährten System zu arbeiten.
Erfreut, dass ich mich scheinbar nur äußerlich verändert habe, schreitet sie später mit den nötigen Utensilien zur Tat. Ich begebe mich in mein Büro, um neue Rezepte zu kreieren, die Wirkung der einzelnen Zutaten zu beschreiben und den Aufbau des Buches zu planen. Das ist zwar komplettes Neuland für mich, aber es geht ja erst mal nur darum, eine Art Übersicht zu erstellen. Wie Ulla und ich gestern beim Durchforsten meiner Sammlung festgestellt haben, gibt es in den meisten Kochbüchern ein Grundkonzept. Eigentlich kann ich gar nicht genau sagen, was mich jeweils zum Kauf verleitet hat. Nach einigem Überlegen erinnere ich mich, dass ich mein letztes Buch wegen der verführerischen Fotos erstanden habe. Die Gerichte waren so unglaublich lebendig fotografiert, das mir schon im Laden das Wasser im Mund zusammenlief. Rezepte ohne Fotos dagegen probiere ich selten aus. Vermutlich sind Fotografien für jedes Kochbuch von elementarer Wichtigkeit.
Ob auch unsere Gerichte so ansprechend fotografiert werden, dass die Rezepte Lust zum Nachkochen machen? Ob Ulla und ich darauf überhaupt Einfluss haben? Gute Fotos kosten sicher ein Vermögen. Wer weiß, wie groß Bertrams Budget für das Projekt ist. Hat Ulla nicht berichtet, dass der Verlag nicht besonders gut läuft und Bertram unbedingt einen Kassenknüller braucht?
Stopp!
Ich mache mir ja schon wieder viel zu viele Gedanken. Geld sollte nicht mein Problem sein. Eve Lacombe lebt und agiert schließlich nach dem Lustprinzip! Das ist immerhin ihr Geschäft.
Entschlossen öffne ich eine weitere Datei und beginne die nächste Stunde über eifrig am Exposé zu tippen.
Hingewiesen habe ich unter anderem darauf, dass der Erfolg von «Chili und Schokolade» nicht nur von
meiner
Vermarktung abhängt, sondern auch von überirdisch schönen, inspirierenden Hochglanzbildern. Und die müssen vom besten Fotografen der Branche gemacht werden. Egal, wie hoch sein Honorar ist. Künstler haben eben ihren Preis.
Moment, wie steht es eigentlich mit meinem Honorar? Vielleicht sollte ich mir den Vertrag erst mal richtig ansehen.
Beim Lesen verstehe ich zahlreiche Paragraphen nicht, und selbst nach zweimaliger Durchsicht bin ich nicht klüger. Ob Ulla weiß, was diese Fachbegriffe bedeuten? Andernfalls brauchen wir juristischen Rat. Das bedeutet: einen Anwalt!
Mmh … Wenn ich diesen Dr. Lent aufsuche, könnte ich vielleicht alles in einem Aufwasch erledigen, überlege ich. Die Idee ist nicht ohne Komik: Mein altes Leben löst sich auf, gleichzeitig beginne ich ein neues, wenn ich den Kochbuch-Vertrag unterschreibe.
Was für ein euphorisierender Ausblick! Ich kann es kaum erwarten, bis dieser Anwalt aus dem Urlaub zurück ist.
In diesem Moment ertönt wieder der Türsummer. Eulalia kommt mir zuvor. Anscheinend will jemand etwas abgeben.
«Eine Lieferung für Eve Lacombe?», höre ich eine Männerstimme sagen.
Erschrocken rase ich zur Tür. Mon dieu!, wer außer Ulla weiß denn von diesem Namen?
Bertram! Ulla muss ihm meine Adresse doch gegeben haben. Was mache ich denn jetzt? Wenn Eulalia etwas von der Sache erfährt, könnte sie sich Konrad gegenüber verplappern, und dann bin ich geliefert.
«Nein, hier gibt es keine Frau Lacombe», antwortet Eulalia entschieden und stemmt abweisend ihre Hände in die Hüften. «Da sind Sie falsch.»
Gerade als sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen will, habe ich eine rettende Idee.
«Moment, Eulalia!» Ich wende mich an den Boten, der einen in Zellophan eingewickelten gelben Korb voller Küchenkräuter in der Hand trägt. «Worum geht es denn?»
Genervt, weil er im Novembernebel draußen stehen muss und seine kostbare Zeit vertrödelt, hält mir der junge Mann mit Fleurop-Jacke und Käppi den Korb jetzt entgegen. «Für Eve Lacombe. Steht hier ganz deutlich.»
«Äh … Ja, das ist richtig», sage ich und unterschreibe auf seinem kleinen Taschencomputer. «Das hätte ich beinahe vergessen, Eulalia. Eve ist eine alte Freundin, die mich morgen besuchen kommt. Die Lieferung sollte, äh … eigentlich auch erst morgen erfolgen.» Ohne eine weitere Erklärung nehme ich den Korb entgegen und beglückwünsche mich im Stillen zu meiner souveränen Reaktion. «Die Kräuter sind ein Geschenk für ihre neue Küche.»
«Na, zum Glück bleiben Topfpflanzen ja länger frisch», erklärt Eulalia resolut.
Erleichtert atme ich auf. Meine Ausrede klang offensichtlich plausibel.
Weitere Kostenlose Bücher