Chill Bill (German Edition)
einziger Freund. Sie waren im Hospital. Luis lag drinnen und wurde von der jungen Ärztin versorgt. Einige Schwestern waren auch drin. Felipe hatten sie mit einer Spritze beruhigt. Er weinte ohne Pause. Alle waren sie freundlich zu ihnen. Sie hatten keine Fragen gestellt. Hatten gleich mit der Arbeit angefangen. Es war so viel zu tun.
Als sie das Hospital erreichten, war Luis schon weit weg auf seinem Weg hinaus aus dieser Welt. Die Ärztin hatte nur einen einzigen Blick gebraucht, um zu erfassen, was nötig war. Sie mussten ihn mit Gewalt zurückholen. Jeder Schritt zurück musste erzwungen werden. Luis selbst hatte keinen Willen mehr. Er war nur noch so etwas wie ein Fleischsack mit der Aufschrift ›wertlos‹.
»Warum? Warum? Warum?«, flüsterte Felipe. Die Tränen rannen ihm übers Gesicht. Er versuchte die Uhr zu erkennen, aber das viele Wasser in seinen Augen schwemmte das Bild fort. Felipe sah nichts außer dem Blut seines Freundes. Es war überall, an seinen Händen, seine Kleidung triefte davon, er hatte es in der Nase und schmeckte es auf der Zunge. Er hörte den Knall, immer wieder hörte er ihn. »Warum hat er das gemacht?«, fragte er die Schwester. Sie nahm ihn in die Arme. »Ist er, ist er …?«
»Holen Sie sich einen Kaffee!«, beruhigte ihn die Schwester. »Wir wissen nicht, was wird. Trinken Sie einen Kaffee! Ihr Freund ist stark. Vielleicht hat er eine Chance.«
Felipe wusste, dass man immer eine Chance bekam. Es fragte sich nur welche. Zum Beispiel die, erst einmal stundenlang quer durch den endlosen Sertão fahren zu müssen, wo es nichts gab als Pampasgras, Rinder und eine Handvoll
Vacqueros
, die sie hüteten.
Diese Sorte Chance kannte Felipe von früher. Sie fühlte sich an wie zerbrochenes Holz in der Speiseröhre. Verzweiflung. Er hatte sie in den Gefängnissen der Militärpolizei kennengelernt.
»Wir hätten es schon geschafft«, sagte Felipe, »es war ja nichts weiter. Wir hatten einen guten Flug. Luis ist ein guter Pilot. Wir hätten es schon geschafft. Jesus hat gelächelt. Es konnte nichts passieren, nichts richtig Schlimmes.«
Die Schwester löste ein paar Beruhigungstabletten in einem Becher Wasser auf. Sie hatte schon einiges gesehen, aber das Häufchen Elend, das sie hier vor sich hatte, ging ihr gewaltig ans Herz. »Sie müssen schlafen«, sagte sie.
Felipe hörte es nicht. »Wir sind so oft zusammen geflogen. Warum? Jesus hat gelächelt, und er erschießt sich. Warum tut er das?«
In den frühen Morgenstunden weckte ihn die Ärztin aus einem unfriedlichen Halbschlummer. Er hatte wilde Zuckungen und schrie nach Luis und Jesus. »Ihr Freund hatte Glück. Die Kugel ist nicht in seinen Schädel eingedrungen. Es gab Frak…« Sie unterbrach sich, denn Felipe nahm offensichtlich nichts davon auf. »Er lebt!«, sagte sie laut, »Er lebt!«
Felipe stammelte etwas von Jesus, wiederholte sein ›Warum?‹, wiederholte es in verschiedenen Tonlagen. Er begriff nichts mehr. Sie trugen ihn in ein freies Bett und untersuchten ihn noch einmal gründlich auf Kopfverletzungen. Dann gaben sie ihm starke Beruhigungsmittel. Der Schock hatte ihn vollständig aus der Bahn geworfen. Er gehörte in die Psychiatrie.
POLIZEIAKTION
Als Antwort auf die grausame Ermordung der Militärpolizisten in der Vorwoche setzte die betroffene Abteilung der MP eine große Aktion gegen das organisierte Verbrechen durch. Zum Unglück einiger Drogenbosse, die sich auf ihre ausgezeichneten Kontakte zur Polizeiführung verließen, verzichteten die MPs auf eine intensive Absprache mit ihren Vorgesetzten.
Sie hatten die Drecksarbeit satt, die Patrouillen am Strand, die Wachgänge vor den Banken, die verordnete Präsenzpflicht in Ipanema, Copacabana, Flamengo. Ihre Aufgabe in der Karnevalszeit schien nur noch darin zu bestehen, bei 40º C im Schatten durch die Touristenzentren zu latschen, damit sich die Devisenbringer sicher fühlten. Währenddessen blühte in den weniger attraktiven Stadtteilen das Verbrechen auf. Die MPs warteten auf eine Gelegenheit, endlich wieder einmal sinnvolle Arbeit zu leisten.
In der Nacht vom 20. auf den 21. Februar war es so weit. Arnoldo Rebeiro erwischten sie mit dicken Eiern zwischen zwei
Mulatas
aus Copacabana. Seine Leibwächter knallten sie gleich im Durchgang ab. Die Jungs hatten nicht viel drauf.
Borboleta Santa Cruz, der Typ mit dem Schmetterling auf dem Oberarm, kam aus der Dusche, als ihn der Stiefel des Leutnants zwischen den Beinen traf. Weniger Gewalt hätte
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