Chill mal, Frau Freitag
auch niemand. Aber nur weil es im Unterricht ruhig ist, heißt das nicht automatisch, dass jeder viel lernt. Methodisch und pädagogisch bewegt sich der harte Hund nämlich nicht nur im Mittelalter, sondern gerne auch im gefährlichen Sumpfgebiet der gesetzlichen Grauzone: Demütigungen, Beleidigungen und sogar Gewalt gehören zu seinem täglichen Repertoire. Bestraft wird er allerdings nie.
Der Kollege harter Hund kotzt mich an in seiner Selbstherrlichkeit. Nie will er was Neues hören, geschweige denn lernen. Weiterbildung – wozu? Teamarbeit – was soll das sein? Kritik – wieso? Bei mir läuft’s doch. Nicht nur in meiner eigenen Schulzeit, auch heute noch ecke ich immer an, wenn mir dieser Lehrertyp begegnet. Sie sagen immer das Gleiche und in jedem Statement versteckt sich Kritik am Gegenüber:
»Wenn es nicht leise ist, fang ich gar nicht erst an.«
»Echt, das hat er gemacht? Das traut der sich bei mir nicht.«
»Den hab ich so gegrillt, der hat nicht mal mehr gezuckt.«
Da wird »auf den Topf gesetzt«, »gar nicht lange gefackelt«, »kurzer Prozess gemacht«, »erst mal ganz hart durchgegriffen« und grundsätzlich »gesagt, wo es langgeht«, ständig werden »mal ganz andere Töne angeschlagen«. Andere Lehrertypen werden verunsichert oder belächelt. Harte Hunde sonnen sich in ihrem schlechten Ruf. Schüler fürchten, hassen oder verehren sie. Kollegen ärgern sich über sie, trauen sich aber nicht, sie zu kritisieren.
Ich finde, die harten Hunde gehören ins Museum. Bei der nächsten Schulinspektion sollten sie aufgespürt und suspendiert werden: »In fast siebzig Jahren nichts dazugelernt. Dieser Lehrer wird leider nicht in die nächsthöhere Klassenstufe versetzt.«
Schuljahresendzeit (4. Juli, noch 11 Tage)
Aber Lehrer bleiben ja nicht sitzen. Schüler dagegen schon. Den Sitzenbleibern aus meiner Klasse habe ich gesagt, dass sie wiederholen müssen. Schrecklich war das. Wie verkauft man denn einem Teenager, dass er das gesamte vergangene Jahr noch mal machen muss. Nur mit anderen Leuten, und er selbst ist ein Jahr älter. Schrecklich. Und wie müssen die sich ärgern, dass sie sich nicht ein wenig mehr angestrengt haben. Unter uns – bei uns müsste man nicht sitzenbleiben. Wir sind nicht gerade eine Eliteschule.
Ich war ganz gerührt davon, wie stoisch sie das aufgenommen haben. Es gab weder Gemecker noch wurde irgendjemandem die Schuld für ihr Scheitern zugeschoben. Sie taten mir total leid, und ich wäre am liebsten zur Zeugnisliste gerannt und hätte ihre Noten geändert.
Schön war allerdings, den übrigen Schülern der Klasse nach und nach mitzuteilen, dass sie versetzt werden. Fast alle haben damit gerechnet, zu viele Fünfen und Sechsen auf dem Zeugnis zu haben. Ich war die perfekte Heidi Klum.
Sehr ernstes Gesicht: »Tja. Kennst du die Klassenlehrer der jetzigen 7. Klassen? Wen findest du davon nett?«
»Wie, äh, nee, kenn ich nicht. Muss ich denn?«
»Du warst ja leider nicht besonders fleißig im ersten Halbjahr. Dadurch sind deine Noten im zweiten … Du hättest, du solltest und hast nicht, ich hab doch die ganze Zeit gesagt, dass …«
Schüler leichenblass, zum ersten Mal in zwei Jahren sprachlos.
»Also in welche Klasse möchtest du denn gerne?«, frage ich.
»Ich will in die Neunte!«
»Na gut, dann kommst du in die Neunte.«
Typische Lehrersprüche in diesem Moment: »Aber nächstes Jahr musst du! Und von Anfang an und nicht wieder erst! Und fast hättest du nicht …«
Kann man sich eigentlich sparen, gegen die Freudenschreie kommt man sowieso nicht an. Und man kann solche Momente ruhig auch einmal verstreichen lassen, ohne gleich zu denken: Ah, jetzt die pädagogische Botschaft einstreuen, jetzt fällt sie auf fruchtbarsten Boden,
Nur bei einer Schülerin funktionierte meine Heidi-Masche nicht. Hodda, die nun schon zum zweiten Mal die achte Klasse besucht hat, einmal bei Frau Hinrich und einmal bei mir, flehte gleich verzweifelt: »Oh bitte, Frau Freitag, mach nicht so!« Und dann hat Frau Freitag auch nicht so gemacht, dafür habe ich sie allerdings gezwungen, sich wieder mein Lehrer-Mantra anzuhören – das sie glücklich strahlend über sich ergehen ließ.
»Aber wenn ich ihnen ihre Noten gesagt habe, dann machen die ja gar nichts mehr«, sagt der gebeutelte Referendar Herr Rau in der großen Pause. Er erwartet jetzt brauchbare Tipps. Ich fühle mich geschmeichelt. Anscheinend denkt er, ich habe alles im Griff. Herr Rau hat nichts im Griff. Am
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