Chill mal, Frau Freitag
sage ihnen immer: »Ich hebe alle eure Kunstarbeiten auf, wenn ihr dann mal berühmt seid und in der Zeitung steht, dann kann ich die an BILD verkaufen. Aber macht bitte nicht nur durch irgendeinen bescheuerten Einbruch oder mit Ehrenmord von euch reden.«
Und ich sage den Mädchen in jeder Klasse: »Wäre schön, wenn eine von euch Kosmetikerin werden könnte, ich habe doch immer so viele Pickel.« Ich habe geschworen, Hakan zu konsultieren, bevor ich mir ein Auto kaufe, der kennt sich voll krass aus. Leider hängt er zurzeit in einer Maßnahme fest, aber ich vertraue seinem Sachverstand total.
Letztes Jahr hatte ich eine Schülerin, die von einer Gymnasiumschule zu uns kam. Daniela hatte gute Zensuren und wir sprachen oft nach dem Unterricht über Auslandsaufenthalte und darüber, wie das Studieren funktioniert. Sie will Plastische Chirurgin werden. Ich setze alle meine Hoffnungen in sie. Sie hat mir Rabatte versprochen. Eine Kosmetikerin, dir mir billiges Botox spritzen kann, würde mir aber in den nächsten Jahren erst mal reichen.
Die Berufswahl ist echt schwierig, und ich bin froh, dass ich das hinter mir habe. Ich beneide meine Schüler nur selten darum, dass ihnen noch alles offensteht.
Die Eltern kümmern sich meiner Meinung nach zu wenig darum. Und die Schüler wissen ja gar nicht, was es so alles gibt. Wenn die wenigstens sagen würden: »Irgendwas mit Medien.« Aber ich bezweifle, dass von Guttenberg vor 25 Jahren sagte: »Irgendwas mit Krieg will ich später auf jeden Fall mal machen.«
Frau Freitag ermittelt
Was ich an meinem Lehrerdasein besonders liebe ist, dass ich ab und zu kriminalistisch tätig werden kann. Neulich gab es wieder einen Fall zu klären.
Als ich morgens ins Lehrerzimmer komme, spricht mich Kollege Werner an, wo denn drei meiner Schülerinnen (unter anderem Samira) gestern in der fünften und sechsten Stunde gewesen seien. In der zweiten Stunde hätte er noch das Vergnügen gehabt, sie zu unterrichten, aber später seien sie nicht mehr aufgetaucht. Es ist manchmal echt günstig, wenn ein Kollege mehrmals am Tag in einer Klasse unterrichtet. Sonst würde man oft gar nicht bemerken, dass die Schülerzahl gegen Nachmittag stark abnimmt. So auch gestern.
»Komisch, also in der zweiten Stunde waren sie noch da, sagst du? Hmmm …«
»Ja, und in der sechsten Stunde hat Frau Schwalle sie dann auf dem Lidl-Parkplatz gesehen. Wann hast du denn heute in deiner Klasse? Dann komme ich nämlich einfach mal rein.«
Anscheinend gibt es in unserem Kollegium noch andere Hobbydetektive. Ich sage: »Ich hab die jetzt gleich, bin gespannt, was die mir auftischen werden.«
Die Klasse trudelt ein, wir plaudern gemütlich, bis es klingelt. Ich gebe mich betont freundlich – einfach öfter mal nett sein! – und hake so ganz nebenbei die Anwesenheitsliste ab. »Marcella, Ayla und Samira, wo wart ihr eigentlich gestern in der fünften und sechsten Stunde?«
Marcella: »Samira war schlecht, und da sind wir in den Freizeitbereich gegangen. Und da hat sie sich dann hingelegt.«
Der Freizeitbereich ist der Ort, an dem die Schüler die Pausen und ihre Freistunden verbringen können. Dort kann man Billard oder Tischtennis spielen. Ich habe da noch nie ein Krankenbett gesehen. Zur Genesung taugt dieser Teil der Schule meines Wissens nicht.
»Wenn ihr schlecht war, hättet ihr doch ins Sekretariat gehen müssen und nicht in den Freizeitbereich …«
Samira: »Ich geh doch nicht ins Sekretariat! Niemals!«
»Also, wer war denn im Freizeitbereich? Welcher Erzieher war da?«
Samira: »Gar keiner.«
Ich stutze, seit wann lassen die Erzieher den Freizeitbereich unbeaufsichtigt? Das habe ich ja noch nie gehört. Die Mädchen merken, dass Samiras Behauptung unglaubhaft klingt, und denken noch mal nach. »Ich glaube, Micha war da«, sagt Ayla. Alles klar, Micha, der netteste Erzieher. Jetzt überlegen sie bestimmt, wie sie ihn einweihen können, damit er ihnen ein Alibi verschafft. »Und ihr seid euch ganz sicher, dass ihr da wart, ja?« Sie nicken wie die Unschuldslämmer.
Fünf Minuten später geht die Tür auf und der Kollege Werner steht da, mit Zetteln in der Hand. »So, hier sind drei Tadel, die bringt ihr bitte morgen unterschrieben wieder mit. Ich habe auch noch die Begründung drangeheftet, zu eurer Information.« Starre Stille. Sie lesen und sagen nichts. Überführt. Der Kollege geht zufrieden wieder raus.
Ich sage: »Ihr wart gar nicht im Freizeitbereich, ihr wart außerhalb des
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