Chill mal, Frau Freitag
fest? Wie gerne würde ich das im Bildungsfernsehen sehen – 24-StundenLive-Stream aus der Schulschwänzer-Villa. Leider bezweifle ich, dass es klappt, denn die Schüler sind meiner Meinung nach schon zu alt und zu verkorkst. Da muss man viel früher anfangen. Die Schulen in den Brennpunktbezirken müssten die besten der Republik sein. Die mit der teuersten Ausstattung, mit den engagiertesten und besten Lehrern und vor allem mit einem himmlischen Schüler-Lehrer-Verhältnis – 1:5 wäre doch schön.
Ich bin davon überzeugt, dass die Gemeinden auf lange Sicht Geld sparen würden. Kann das mal jemand ausrechnen, was es kostet, wenn ein Drittel meiner Klasse sich später erst mal von einer staatlich finanzierten Maßnahme zur anderen hangelt, um dann schließlich ein Leben lang Hartz IV zu beziehen. Und addiert doch bitte bei zwei bis drei Schülern die Kosten für mehrjährige Gefängnisaufenthalte. Ist das denn nicht viel teurer, als ein Super-Duper-Schulprojekt? Man muss das ja nicht gleich überall machen. Probiert das mal an ein oder zwei Schulen in jeder Großstadt aus und vergleicht dann die Aus gaben – alle reden doch immer von Nachhaltigkeit. Und vor allem, lasst die Konzepte für die neuen Schulen nicht von irgendwelchen Schreibtischfuzzis entwickeln, sondern von Lehrern, die bereits Erfahrungen mit schwierigen Schülern haben. Auch wenn wir nicht die besten Pisaergebnisse liefern oder tolle Bücher über das ideale Lernen schreiben, sind wir trotzdem die Spezialisten für unsere Schülerklientel.
Liebe Bildungssenatoren, gebt mir und Fräulein Krise ein halbes Jahr bezahlte Entwicklungszeit, und wir liefern euch ein Konzept, das sich gewaschen hat. Ich fürchte nur, niemand hat daran Interesse, gerade Migranten wirklich eine Chance zu geben, am Ende landen die noch in Positionen, in denen man sie gar nicht haben möchte.
Mein Klassenkampf
Meine Schüler sind genau die, die immer im Fernsehen als die armen Opfer des Schulsystems dargestellt werden. Chancenlos und benachteiligt. Ich sehe allerdings nur, dass sie die Chance hätten, einen guten Schulabschluss zu machen, aber – sie gehen ja nicht mal zum Unterricht! Das hört jetzt auf! The empire strikes back! Frau Freitag hat die Schnauze voll. Jetzt wird den Schwänzern aus meiner Klasse der Garaus gemacht.
Ich komme also auf den Hof, und da sitzen die Mädchen und ein paar Jungs gemütlich auf den Bänken und quatschen. Ich werfe einen Blick auf ihren Stundenplan: Sport. Gehe zum Vertretungsplan. Vertretung bei Frau Kriechbaum. Wutschnaubend stürze ich mich auf sie: »Warum seid ihr nicht bei Frau Kriechbaum?« Gestammel und Fadenscheiniges wird mir entgegengebracht. »Tja, eine weitere Fehlstunde für euch. Pech.« Im Lehrerzimmer trage ich die Schüler in meine Fehlstundenliste ein. Es klingelt, ich gehe zu meinem Unterricht. Ich war bisher immer bei meinem Unterricht. Ist gar nicht so schwer. Man muss einfach nur hingehen. Warum können meine Schüler das nicht?
Nach der Stunde mache ich wieder einen Kontrollgang auf dem Hof, und da sitzen die doch tatsächlich immer noch an der gleichen Stelle. »Sagt mal, spinnt ihr? Ihr habt doch jetzt Physik!« – »Frau Schwalle lässt uns nicht rein.« Wortlos drehe ich mich um, kurz vorm Explodieren. Na wartet, ihr bekommt heute alle einen Brief nach Hause. Und dann wollen wir doch mal sehen. Jedem Einzelnen werde ich eine Schulversäumnis-anzeige androhen. Wenn die Eltern das Wort Anzeige lesen, werden sie meinen Schülern bestimmt endlich mal Dampf unterm Hintern machen. Ich erzähle meiner Klasse ja nun schon seit Jahren, wie so eine Anzeige funktioniert und dass die Eltern unter Umständen bis zu 2 500 Euro bezahlen müssen. Das schockt sie jedes Mal – für fünf Minuten – höchstens bis zur nächsten Stunde.
Bevor ich nach Hause gehe, laufe ich noch mal über den Hof – geht doch nichts über einen gut organisierten Überwachungsstaat. Mehmet spielt fröhlich Basketball. Mittlerweile hat er nicht nur zwei Vertretungsstunden und Physik geschwänzt, nein, jetzt schwänzt er gerade auch noch die Geschichtsstunde, die schon seit zwanzig Minuten läuft. »Mehmet! Mitkommen!«
Schuldbewusst trottet er hinter mir her über den Hof. »Hat die Stunde schon angefangen?« Der Hof ist menschenleer. Ich drehe mich zu ihm um. »WILLST DU MICH VERARSCHEN?« Er geht zum Unterricht, ich wutschnaubend zurück ins Lehrerzimmer. Fünf Minuten später kommt Kollege Werner zu mir – mit Mehmet im Schlepptau:
Weitere Kostenlose Bücher