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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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Vergütung könnte ich mich gewöhnen.
    Wer spinnt denn nun?
    Unglaublich, aber wahr: Mehmet steckt in einem Paralleluniversum fest. Er lebt in einer anderen Realität als wir anderen. Oder er versucht, mich in den Wahnsinn zu treiben.
    Mehmet war nicht nur am Montag nicht in der Schule, sondern auch mehrere Male nicht im Deutschunterricht. Wir haben eine neue Deutschkollegin, Frau Böckstiegel, und deshalb wurde der Kurs, in dem Mehmet eigentlich ist, aufgeteilt. Das passierte schon vor vier Wochen. Mehmet hat also seitdem bei Frau Böckstiegel. Der alte Deutschlehrer Herr Johann ist heilfroh, dass Mehmet weg ist, denn er hat eine Mehmet-Aversion.
    Nachdem Frau Böckstiegel sich bei mir beschwert hat, frage ich nach: »Mehmet, in welchem Deutschkurs bist du jetzt eigentlich?«
    »Ich bin doch bei Herrn Johann.«
    »Ach ja? Du bist doch schon seit ein paar Wochen bei Frau Böckstiegel.«
    »Nein, Frau Freitag, ich bin bei Herrn Johann«, sagt Mehmet sehr überzeugend.
    Ich bin verwirrt: »Aber Herr Johann sagt, dass ihr aufgeteilt wurdet, und jetzt bist du bei der neuen Lehrerin.«
    »Bin ich aber nicht. Wer ist diese Frau Böckstiegel? Die kenne ich gar nicht.«
    »Ja, die kennst du nicht, weil du seit Wochen den Deutschunterricht schwänzt. Anscheinend schon so lange, dass du noch gar nicht gemerkt hast, dass du in einem neuen Kurs bist.«
    »Nein, ich schwänze nicht.«
    »Ach, du warst also am Dienstag und gestern bei Herrn Johann im Deutschunterricht, ja?«
    »Ja.«
    »Du hast im Raum gesessen, an einem Tisch, auf einem Stuhl und hast am Unterricht teilgenommen?«
    »Ja.«
    Jetzt wird es echt interessant, weil mir Herr Johann schon mehrfach gesagt hat, wie gut sein Kurs läuft, seitdem Mehmet nicht mehr dabei ist. Also frage ich: »Was habt ihr denn gestern gemacht?«
    »Irgendwas mit Drama. Und Wörter raussuchen im Buch«, sagt Mehmet.
    Es klingelt zur großen Pause. »Soso, Drama … Mehmet, warte mal kurz.« Alle Schüler verlassen den Raum.
    »Komm mal kurz mit, Mehmet«, sage ich und gehe direkt zu Herrn Johann ins Lehrerzimmer. »Kollege Johann, ich wollte mal fragen, wie Mehmet gestern in Deutsch war.«
    Der Kollege guckt erst mich, dann Mehmet an: »Mehmet? Der ist doch jetzt bei Kollegin Böckstiegel, der war schon seit vier Wochen nicht mehr in meinem Unterricht.«
    Mehmet bleibt ganz ruhig. Ich frage Herrn Johann: »Und habt ihr gestern was mit Dramen gemacht und was im Buch, so Wörter raussuchen?«
    »Nein, wir haben ein Diktat geschrieben«, sagt Herr Johann.
    Ich gehe mit Mehmet auf den Hof: »So, Mehmet, du hast es gehört. Warum lügst du mich so dreist an?«
    »Ich hab nicht gelogen. Ich war gestern da. Ich schwöre«, antwortet Mehmet ernst.
    »Mehmet, denkst du, du bist in einem Paralleluniversum, in dem man sich die Realität so hinbiegen kann, wie man will?«
    »Ich schwöre, Frau Freitag, ich war da«, fängt er noch einmal an.
    Ich lasse ihn einfach stehen und gehe rauchen. Sein Wahnsinn fängt schon an, sich auf mich zu übertragen.
    Wir müssen menschlicher werden
    Immer wieder frage ich mich, warum uns die Schüler nicht als Menschen wahrnehmen. Liegt es vielleicht daran, dass ich durch Schüler wie Mehmet bereits total wahnsinnig rüberkomme?
    Wenn ich sie auf der Straße oder im Bus treffe, tun sie so, als sähen sie einen Außerirdischen, der gerade gelandet ist. In ihren Blicken kann ich lesen: Frau Freitag geht einkaufen? Lebensmittel? Sie ist doch Lehrerin, wozu braucht sie Lebensmittel?
    Ich war als Schülerin ja nicht anders. Ich habe meinen Lehrer mal auf einem Fahrrad gesehen. Ein für mich seltsames, fast erschreckendes Bild, das sich auf Ewigkeiten in mein Hirn gebrannt hat wie der Anblick eines spektakulären Autounfalls.
    Warum sehen uns die Schüler nicht auch als Menschen, sondern nur als fleischige Erfüllungsgehilfen der Bildungspolitik? Sind wir für die Schüler Bioabfall der Schule? Die Antwort ist ganz einfach: Wir sind für sie nur Lehrer und keine Menschen, weil wir immer nur lehrerlich und nie menschlich reagieren. Wir nennen das »pädagogisch«. Aber die Schüler denken: Er nun wieder – typisch Lehrer. Hier ein paar Beispiele:
    Schüler kommt zehn Minuten nach dem Klingeln in den Unterricht.
    Lehrerreaktion: »Schüler, der Unterricht hat bereits vor zehn Minuten begonnen. Du bist zu spät. Das ist nicht das erste Mal. Die Verspätungen werden auf deinem Zeugnis erscheinen, und das ist dein Bewerbungszeugnis. Du musst dich bemühen, pünktlich zu sein

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