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Chimären

Chimären

Titel: Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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erwartet.“
      „Er, er hat Verstand und kann…“ Sie brach erneut ab.
      „Er hat Verstand?“, fragte er verblüfft zurück. „Und was, zum Teufel, kann er noch?“ Der Mann war ganz und gar Ungläubigkeit.
      „Er kann – sprechen.“
      „So, so – er kann sprechen.“ Manuel fasste Shirley an den Schultern, drehte sie zu sich und schaute ihr prüfend in die Augen. „Sag’, bist du krank?“, fragte er ernsthaft besorgt.
      Shirley wehrte ihn ab. „Lass gut sein!“, sagte sie resignierend und stand auf. „Ich richte das Abendbrot“, kündigte sie müde an.
      „He, he – so kommst du mir nicht davon.“ Er holte sie mit sanfter Gewalt auf das Sofa zurück. „Also, der Reihe nach. Was ist bei euch passiert, was habt ihr zusammengebraut!“
      „Ich habe dir alles gesagt!“ Es klang gereizt. „Wenn du mir nicht glaubst, kann ich dir nicht helfen.“
      „Wenn du auch von einem sprechenden Hund faselst!“
      „Ich fasle nicht, verdammt noch mal!“ Sie funkelte ihn zornig an. „Er hat ein menschliches Hirn und ein ebenso manipuliertes Sprechorgan. Er ist putzmunter, sieht fast aus wie ein Schäferhund, könnte wie ein solcher beißen, und wenn die Öffentlichkeit von ihm Wind bekommt, was zu befürchten ist, ist es mit Lehmann, dem Institut und mir aus. Wir haben gegen alle einschlägigen Gesetze verstoßen. So!“ Shirley lehnte sich zurück, blickte trotzig zur Zimmerdecke, ihr Atem ging schnell.
      Sie saßen schweigsam.
      „Das ist ungeheuer“, sagte Manuel nach einer Weile. „Was wirst du, was wollt ihr tun?“
      „Was wir seit zwei Tagen machen, ihn suchen, was sonst.“
      „Deshalb bist du so schlecht drauf“, stellte er fest.
      Shirley antwortete nicht.
      „Wenn er wirklich Verstand hat – warum ist er davongelaufen?“
      Shirley seufzte und hob die Schultern. „Wenn wir das genau wüssten. Hochtrabend gesagt, aber nicht ausgeschlossen: Es gibt Anzeichen, dass er – seine Identität sucht.“
      „Seine Identität… Er hat Verstand, sagst du. Ihr, du, ihr habt den euren offenbar ganz und gar verloren.“ Er wurde heftiger: „Wie kann man so etwas Hirnrissiges überhaupt machen! Ihr müsst von allen guten Geistern verlassen sein. Was hast du dir dabei gedacht, Shirley? Ich hab’ dich bislang für intelligent, warmherzig, lieb gehalten, und du entpuppst dich als eine, eine Teufelin, ja, Teufelin – ein weiblicher Frankenstein!“ Plötzlich griff er nach ihrer Hand und drang mit verändertem Tonfall in sie: „Er, dieser Doktor Lehmann, hat dich dazu gezwungen!“
      Sie schüttelte ihn ab. „Genauso hab’ ich mir das vorgestellt. Hack’ du nun auch noch auf mir herum! Übrigens, niemand hat mich zu irgend etwas gezwungen! Du hast ja keine Ahnung, was dieses Experiment bedeutet. Eine Revolution in der Evolution! Nur Ignoranten sehen das nicht.“ Sie wurde laut und vorwurfsvoll. „Ich hätte nicht gedacht, dass du einer bist. Das ist nämlich etwas anderes, als totes Eisen zu verbiegen, weißt du. Es ist ein Stückchen Schöpfung, und wir sind ganz vorn. Und eines Tages…“ Sie brach plötzlich ab. „Ach, lass mich doch in Frieden!“ Sie wandte sich mit hängenden Schultern der Tür zu.
      Manuel verstellte ihr den Weg, fasste sie an den Oberarmen: „Was wirst du tun?“
      Müde befreite sie sich, ohne ihn anzusehn. „Ich hab’ doch schon gesagt, ihn suchen.“
      „Und wenn ihr ihn nicht findet?“
      „Wenn er nicht auffällig wurde und vielleicht tot ist, wäre alles in Ordnung.“ Sie zuckte müde mit den Schultern. „Es wäre nur sehr schade – Lux ist ein Lieber…“
      „Und wenn nicht?“
      „Kommt darauf an, was er wo und zu wem gesagt oder was er angestellt hat. Schlimmstenfalls Gefängnis für Lehmann, für mich mindestens Jobverlust und nie mehr eine Insiderchance, verstehst du?“ Sie schritt weiter zur Tür.
      „Und wenn er wieder auftaucht, bevor er…“ „Dann wäre auch alles in Ordnung.“ „Dann wäre alles in Ordnung“, echote er gedankenversunken.
      Die Tür fiel ins Schloss.

    U nter der kleingedruckten Rubrik „Was sonst noch geschah“ stand im lokalen Teil der Tageszeitung zu lesen:
    „Die rüstige Oma Sieglinde Schmidt (Name von der
Redaktion geändert) war gestern am frühen Vormittag
mit ihrem Enkeltöchterchen auf einem Spaziergang in
der Schillerstraße. In der kleinen Parkanlage trafen sie,
so die Frau Schmidt, auf einen herrenlosen Schäferhund.

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