Chimären
fühlte er sich nach wie von nicht in der Lage. Hunger blieb das Dominierende. Lux erhob sich und schritt am Ufer entlang stromaufwärts, der Brücke zu.
Mit Shirleys Hilfe hatte er Menschen zu unterscheiden gelernt zwischen Mann und Frau, sogar alt und jung.
Unter der Brücke saß auf einer schmuddligen Decke ein alter Mann, dessen Gesicht eigentlich nicht zu sehen war, so versteckt lag es hinter einem grauen Haargewirr. Um sich herum hatte der Sitzende allerlei ausgebreitet: Eine große Büchse, aus der ein köstlicher Duft aufstieg, einen Laib Brot, ein paar Äpfel und eine offene Bierdose. In einem angeschlagenen Emailletopf, der auf einem Gestell stand, das eine bläuliche Flamme barg, blubberte Wasser.
Mit einem Messer fuhr der Mann in die Büchse, holte angespießt einen Happen hervor, schob diesen in den Mund, in dem dunkle Zahnlücken sichtbar wurden, und biss dazu vom Brot einen Bissen ab.
Eine Gefahr ging von dem Mann auf keinen Fall aus, Kraft und Schnelligkeit traute ihm Lux nicht zu. Ein nicht unangenehmer Geruch ging von ihm aus, insbesondere aber von dem Gefäß, so dass sich Lux zum Verweilen entschloss. Er setzte sich in angemessener Entfernung auf die Hinterläufe und schaute zu dem Schmausenden. Er konnte nicht verhindern, dass ihm im Maul der Speichel zusammenlief.
„Na du“, brachte der Mann undeutlich hervor. Er kaute mit vollen Backen.
Lux reagierte mit einem leichten Schwanzwedeln.
„Hast Appetit, was? Hier, von Käptn Nemo!“ Er nahm den nächsten aufgespießten Happen vom Messer und warf ihn Lux zu.
Lux zögerte Augenblicke. Ein unwiderstehlicher Geruch stieg von dem Konservenfleisch auf. Schließlich nahm er den Brocken vorsichtig auf und verzehrte ihn.
„Hm, ein Feiner.“ Der sich Nemo nannte, nickte anerkennend. „Bist überhaupt ein wenig merkwürdig.“ Er musterte seinen Gegenüber eingehend. „Na, komm mal her!“ Er streckte eine Hand aus, lockte mit dem Zeigefinger.
Lux zögerte, rückte dann jedoch vorsichtig ein Stück auf das Picknicklager zu. Nemo brach ein Stück Brot vom Laib und reichte es mit der Hand. Wieder nahm es Lux vorsichtig.
„Sag’ ich doch, ein Feiner. Was hast du für ein komisches Fell auf dem Kopf. Und überhaupt. Meinst du nicht, dass dein Nischel ein wenig groß geraten ist? Deshalb will dich wohl keiner, treibst dich rum, was? Hast Hunger. Na, komm her, sollst nicht leben wie ein Hund.“ Er reichte abermals einen Bissen aus der Büchse.
Eigenartigerweise fasste Lux Zutrauen zu dem Mann, der sich Käptn Nemo nannte. Er hielt still, als dieser ihm seine runzligen Hände ins Fell grub, es grob streichelte und beklopfte. „Schade, wir könnten Kumpels werden, aber ich heure morgen an.“ Er beugte sich vor, flüsterte beinahe, und er gab seinen Worten Gewicht: „Es geht zur See, und da kannst du leider nicht mit. Morgen kommt das Schiff, hier…“, er wies mit langgestrecktem Arm auf den Fluss, „legt es an, und dann ahoi!“
Von Shirley wusste Lux, dass es Seefahrt gab und dass es eine harte Arbeit sein musste. Er konnte sich gut an die Geschichte von der Schatzinsel erinnern, die sie beide, Schäffi und er, vorgelesen bekamen. Und da sollte der Alte…? Shirley hatte sie auch gelehrt, dass es wunderliche Menschen gab, und gewiss saß jetzt einer davon vor ihm. Aber es gefiel Lux unter der Brücke bei dem Mann. Satt fühlte er sich noch nicht, aber der ärgste Hunger war gestillt, und der Alte mochte ihn, sprach mit ihm. ,Mit mir? Bisher spricht er allein.’ „Glaubst du wirklich, dass ein Schiff kommt?“, fragte Lux.
Der Alte stutzte, wich um ein Weniges zurück, starrte den Hund an. Dann zog er die Stirn – das Einzige, was man von seinem Gesicht sah – in Falten. „Wusst’ ich’s doch, dass du etwas Besonderes bist, wusst’ ich’s doch! Ist mir mein Lebtag noch nicht vorgekommen, ein Hund, der reden kann. So was! Nun sag’, wo kommst du her, und wer hat dir das beigebracht? Wenn ich das meinen Kumpels erzähle. Die denken sowieso, dass ich spinne. Soll’n sie. Ich weiß, was ich weiß. Also…“, fragte er, um Strenge bemüht, „woher kommst du?“
„Von Shirley.“
„So, so, von Shirley. Und die hat dir auch das Reden beigebracht.“
„So ist es.“
„Und wo ist diese Shirley, und warum bist du ihr ausgerissen, he?“
„Die Shirley ist dort.“ Lux hob den linken Vorderlauf und wies angedeutet flussabwärts. „Und ausgerissen bin
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