Chimären
Menschen, nicht die Hunde. Uns bleiben nur unsere Besitzer, Boris, Shirley.’ Lux machte Anstalten, unter der Bank hervor zu robben. Da kam der Gedanke: ,Shirley – hat sie uns aber nicht eingetrichtert, dass wir andersgeartet sind als unsere Artgenossen, Schäffi, ich und das Dutzend andere bislang?’ Lux atmete erleichtert auf. ,Na, das ist es doch!’ Ein leichter Schwindel verwirrte ihn abermals. Er legte den Kopf zwischen die Vorderläufe und dachte nach. ,Das ist es Lux, das muss deine Stärke sein. Du musst es ihnen zeigen, den Menschen, dass du mehr zu ihnen als zu den Hunden passt!’
Unterdessen kündigte sich ein sonniger Tag an. Lux spürte die wärmenden Strahlen, die schräg auffallend seine Flanke trafen. Entschließen aber konnte er sich jedoch nicht, sein Versteck zu verlassen. Zwar hatten sich Verzweiflung und Ängste verflüchtigt, auch der spontane Entschluss, umzukehren war vergessen, dennoch blieb das Defizit: Wie soll es weiter gehen? Er spürte, dass sein Verstand nicht ausreichte, folgerichtige Schritte vorzudenken.
Dann hörte er das Knirschen des Kieses unter menschlichen Schritten.
Er kroch ein Stück zurück, sah vier Füße in Schuhen unmittelbar vor seinem Kopf, zwei große und zwei kleine.
„Komm, lass uns hier die Hörnchen essen“, forderte eine Frauenstimme.
Die Bohlen ächzten. Zwei Menschen hatten die Bank besetzt, davon musste einer klein sein, denn seine Füße reichten nicht auf den Boden, sondern schwangen frei.
,Eine Frau mit einem Kind’, stellte Lux fest. Unfähig, die Situation einzuschätzen, beschloss er, sich ruhig zu verhalten.
Ein Schwirren, und ein halbes Dutzend Spatzen landete vor der Bank. Die Federbällchen hüpften vor Lux’ Nase herum, äugten mit schiefgehaltenem Kopf nach oben und bettelten um Krumen, die sie auch bekamen und um die sie sich lautstark zankten.
Dem Kind gefiel das offenbar. Es lachte, rief: „Oma, die sind aber lustig!“ und bekam als Antwort, dass sie sicher hungrig seien.
Nach Spatzenart rückten die Vögel in ihrer Fresslust immer näher, verloren an Scheu, was das Kind zum Anlass nahm, von der Bank zu rutschen und ihnen das angekaute Hörnchen entgegen zu recken. Dort zuzulangen, erschien den Tierchen wohl doch zu waghalsig. Sie schnurrten aufgeregt davon.
Zwei Empfindungen befielen Lux: Die eine – er spürte, dass er großen Hunger hatte, und er unterdrückte den Drang, das Hörnchen zu schnappen. Die andere: Das Kind kauerte vor ihm, schaukelte mit dem Oberkörper hin und her, und es befiel Lux gelinde Furcht, sie könne ihn jeden Augenblick entdecken.
Und das geschah auch. Bei einer seiner spontanen Drehungen hielt das Kind plötzlich inne und blickte Lux geradewegs ins Gesicht, aber es erschrak nicht. Es schaute ein Weilchen stumm, dann überzog sein hübsches Antlitz ein Lächeln, es streckte eine Hand nach ihm aus, berührte ihn mit leichten Streichelbewegungen am Kopf.
Erst nach einer Weile sagte es: „Oma, da ist ein Hund.“
„Was für ein Hund? Komm hoch, mach dich nicht schmutzig.“
Lux bewegte sich nicht, wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Sein erster Gedanke war Flucht, aber eine Gefahr ging von dem Kind nicht aus. Er blickte, ohne den Kopf zu drehen, soweit es das Gesichtsfeld zuließ, in die Runde. Andere Menschen waren nicht zu sehen.
„Guck doch, ein Schäferhund!“
In das andere Beinpaar kam Bewegung. Die Frau trat ein paar Schritte von der Bank hinweg, Lux sah immer mehr von ihrem Körper. Sie bückte sich, vor Anstrengung laut seufzend, sah ihn an, sprang mit einem Satz zum Kind, riss es empor und rief: „Um Gottes Willen, Kind. Wenn der dich beißt!“ Sie drückte es an sich, nahm aber gleichzeitig eine drohende Haltung ein und schrie: „Mach’ dich fort, verdammter Köter!“
Lux entschloss sich. Er kroch langsam unter der Bank hervor, indem er sich zunächst auf die Vorderbeine stellte, blickte auf die Frau und sagte, darauf achtend, dass es deutlich heraus kam: „Ich beiße nicht!“
Die Frau stieß entsetzt einen Schrei aus, lockerte den Griff um das Kind, das an ihrem Körper hinab auf den Boden rutschte. Und nach einem Augenblick der Starre rannte sie plötzlich laut nach Hilfe rufend davon.
Das Kind aber saß auf dem Boden, den Blick wieder auf Lux gerichtet, der nunmehr unschlüssig neben der Bank stand, und es reckte ihm fröhlich lachend beide Hände entgegen.
Zögernd trat Lux in
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