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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Opfer unbedingt bringen. Er kenne ein Kloster, in dem sie gut aufgehoben wäre. Er wisse, was gut für das Kind sei … Er nahm ihre Hand, zerquetschte ihr fast die Finger. Liebtesie ihr Kind denn nicht? Wollte sie denn nicht erlöst werden? Wollte sie das nicht? Nein?
    In jener Nacht wiegte meine Mutter mich weinend in den Schlaf.
    Am nächsten Morgen verließen wir Reims wie die Diebe. Sie trug mich auf dem Arm, hielt mich fest wie einen gestohlenen Schatz, die Augen voller Angst.
    Ich begriff, daß er sie um ein Haar dazu gebracht hätte, mich zurückzulassen. Später fragte sie mich häufig, ob ich glücklich mit ihr sei, ob ich feste Freunde vermißte, ein Zuhause … Aber sooft ich ihr auch antworten mochte, ja, nein, nein, sooft ich sie auch küßte und ihr beteuerte, daß ich nichts, überhaupt nichts vermißte, ein wenig von dem Gift blieb immer zurück. Jahrelang liefen wir vor dem Priester, dem Schwarzen Mann, davon, und jedesmal, wenn sein Gesicht in den Karten auftauchte, war es wieder Zeit zu fliehen, dem dunklen Abgrund aus dem Weg zu gehen, den er in ihrem Herzen aufgerissen hatte.
    Und jetzt ist er wieder da, gerade als ich geglaubt hatte, Anouk und ich hätten endlich eine Heimat gefunden. Da steht er in der Tür wie der Engel vor dem Tor.
    Nun, diesmal werden wir nicht davonlaufen, das schwöre ich. Was immer er tun mag. Und wenn er alle Leute im Dorf gegen uns aufhetzt. Sein Gesicht ist so glatt und zweifelsfrei wie eine böse Karte. Und er hat mir seine Feindschaft so deutlich erklärt – und ich ihm meine –, als hätten wir die Worte laut ausgesprochen.
    »Ich bin so froh, daß wir uns verstehen.« Meine Stimme hell und kalt.
    »Ich auch.«
    Etwas in seinen Augen, ein Funkeln, das vorher noch nicht da war, beunruhigt mich. Erstaunlicherweise genießt er es, zwei Feinde, die zum Kampf bereit in die Arena treten; in seiner absoluten Gewißheit ist nicht der geringste Raum für den Gedanken, daß er verlieren könnte.
    Er wendet sich zum Gehen, formvollendet korrekt,verabschiedet sich mit der Andeutung eines Nickens. Einfach so. Höfliche Verachtung. Die giftige Waffe der Rechtschaffenen.
    » M’sieur le Curé! « Als er sich umdreht, drücke ich ihm die kleine, mit einem Schleifchen versehene Tüte in die Hand. »Für Sie. Ein Geschenk des Hauses.« Mein Lächeln duldet keinen Widerspruch, und er starrt peinlich berührt auf das Tütchen. »Machen Sie mir die Freude?«
    Er runzelt die Stirn, als ob ihn der Gedanke, daß mir etwas Freude bereitet, ärgert.
    »Aber eigentlich mag ich keine –«
    »Unsinn.« Mein Ton ist streng, bestimmt. »Ich bin sicher, Sie werden sie mögen. Sie erinnern mich so sehr an Sie.«
    Ich habe den Eindruck, daß er trotz seines ruhigen Äußeren verblüfft ist. Und dann, nach einem weiteren höflichen Nicken, entschwindet er, das weiße Tütchen in der Hand, in den grauen Regen. Mir fällt auf, daß er gemessenen Schrittes über den Platz geht, anstatt so schnell wie möglich Schutz vor dem Regen zu suchen, nicht gleichgültig, sondern mit dem Gesichtsausdruck eines Menschen, dem selbst diese kleine Unannehmlichkeit willkommen ist …
    Ich stelle mir vor, wie er das Konfekt ißt. Wahrscheinlich wird er es verschenken, aber ich hoffe, daß er das Tütchen wenigstens öffnen wird … Einen neugierigen Blick wird er sich sicherlich erlauben dürfen.
    Sie erinnern mich so sehr an Sie .
    Ein Dutzend meiner besten huîtres de Saint-Mâlo , kleine flache Pralinen in der Form von verschlossenen Austern.

Dienstag, 18. Februar
    Fünfzehn Kunden gestern. Heute vierunddreißig. Darunter Guillaume; er kaufte eine Hundert-Gramm-Tüte Florentiner und trank eine Tasse Schokolade. Charly war auch dabei; er hatte sich brav unter einem der Hocker zusammengerollt und starrte mit traurigen Augen zu Guillaume hinauf, der ihm hin und wieder ein Stück braunen Zucker in sein unersättliches Maul stopfte.
    Es brauche Zeit, erklärt mir Guillaume, bis jemand, der neu zugezogen sei, von den Leuten in Lansquenet akzeptiert werde. Am vergangenen Sonntag habe Reynaud eine so leidenschaftliche Predigt zum Thema Abstinenz gehalten, daß die Neueröffnung von La Céleste Praline wie ein offener Affront gegen die Kirche gewirkt habe. Caroline Clairmont – die gerade wieder eine neue Diät angefangen hat – fand besonders schneidende Worte, als sie ihren Freundinnen in der Gemeinde laut erklärte, es sei absolut schockierend, wie bei den lasterhaften Römern, meine Lieben, und wenn

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