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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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dieses Weibsbild glaubt, sie könnte sich hier aufführen wie die Königin von Saba – widerlich, wie stolz sie dieses uneheliche Kind vorführt – und die Pralinen und Trüffel? Nichts Besonderes, meine Lieben, und viel zu teuer  … Die Damen kamen zu dem Schluß, daß »es« – was immer es sein mochte – nicht von Dauer sein könne. In spätestens vierzehn Tagen würde ich aus dem Dorf verschwunden sein. Und dennoch hat sich die Zahl meiner Kunden seit gestern verdoppelt, darunter einige von Madame Clairmonts Busenfreundinnen, die sich gegenseitig mit leuchtenden Augen, wenn auch ein wenig verlegen, erklärten, sie seien aus reiner Neugier gekommen, nur um alles mit eigenen Augen zu sehen.
    Ich kenne alle ihre Lieblingssorten. Es ist ein Talent, das zu meinem Beruf gehört wie die Fähigkeit der Wahrsagerin, aus Händen zu lesen. Meine Mutter hätte darüber gelacht,wie ich mein Talent vergeude, aber ich habe kein Verlangen, weiter in das Leben der Menschen einzudringen. Ich interessiere mich nicht für ihre Geheimnisse und ihre innersten Gedanken. Ich möchte weder Angst erwecken, noch Dankbarkeit erfahren. Eine zaghafte Alchimistin hätte sie mich in ihrer liebevoll-spöttischen Art genannt, die sich auf zahme Zauberei beschränkt, wo sie Wunder hätte wirken können. Aber ich mag diese Menschen. Ich mag ihre kleinen, heimlichen Sorgen. Ich lese es aus ihren Augen, sehe es an ihren Lippen – diese Frau mit dem leicht verbitterten Zug um die Augen wird meine würzigen Orangentrüffel mögen; diese süß lächelnde Person die Aprikosenherzen mit dem weichen Inneren; dieses Mädchen mit dem vom Wind zerzausten Haar liebt meine mendiants ; die lebhafte, gutgelaunte Frau die Mandelsplitter. Für Guillaume die Florentiner, die er in seiner ordentlichen Junggesellenwohnung mit Bedacht über einem Teller verspeisen wird. Narcisse’ Vorliebe für Mokkatrüffel verrät das weiche Herz unter der rauhen Schale. Caroline Clairmont wird heute nacht von Champagnertrüffeln träumen und hungrig und schlecht gelaunt aufwachen. Und die Kinder … Schokoladenkringel, weiße, runde Plätzchen mit bunten Zuckerstreuseln, Pfefferkuchen mit süßem Rand, Marzipanfrüchte in Nestern aus bunter Holzwolle, Makronen, kandierte Früchte, Knusperkekse, gemischte Sorten Konfekt zweiter Wahl in Fünfhundert-Gramm-Schachteln … Ich verkaufe Träume, kleine Trostspender, harmlose, süße Versuchungen, die all die kleinen Heiligen zwischen Pralinen und Trüffeln schwach werden lassen …
    Ist das so schlimm?
    Für Curé Reynaud ist es das offenbar.
    »Hier, Charly. Guter Junge.« Guillaumes Stimme klingt liebevoll, wenn er mit seinem Hund spricht, aber auch ein bißchen traurig. Er hat sich den Hund gekauft, nachdem sein Vater gestorben war, erzählt er mir. Aber das Leben eines Hundes ist kürzer als ein Menschenleben, sagt er, und die beiden sind zusammen alt geworden.
    »Hier.« Er macht mich auf eine Wucherung unter Charlys Kinn aufmerksam. Sie ist etwa so groß wie ein Hühnerei und zerfurcht wie Eichenrinde. »Sie wächst.« Der Hund reckt sich genüßlich, zappelt mit einem Bein, während er sich von seinem Herrchen den Bauch kraulen läßt. »Der Tierarzt sagt, man kann nichts machen.«
    Ich beginne zu begreifen, warum sich in seinem Blick oft Liebe und Schuldgefühle mischen.
    »Einen alten Mann würde man auch nicht einschläfern«, sagt er ernst. »Nicht, daß er« – er ringt nach Worten –, »daß er nichts mehr vom Leben hätte. Charly leidet nicht. Nicht richtig.« Ich nicke. Ich weiß, er versucht, sich selbst zu überzeugen. »Die Medikamente hemmen das Wachstum der Wucherungen.« Vorerst . Das Wort steht unausgesprochen im Raum.
    »Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich es wissen.« Trauer und Schrecken liegen in seinem Blick. »Ich werde wissen, was ich zu tun habe. Ich werde mich nicht fürchten.« Wortlos fülle ich seine Tasse noch einmal auf und gebe Schokostreusel auf den Schaum, aber Guillaume ist zu sehr mit seinem Hund beschäftigt, um es mitzubekommen. Charly rollt sich träge auf den Rücken.
    » M’sieur le Curé sagt, Tiere hätten keine Seele«, murmelte Guillaume. »Er sagt, ich soll Charly von seinem Leiden erlösen.«
    »Alles hat eine Seele«, erwidere ich. »Das hat meine Mutter mir immer gesagt. Alles.«
    Er nickt, allein mit seiner Angst und seinen Schuldgefühlen.
    »Was würde ich nur ohne ihn tun?« fragt er, immer noch dem Hund zugewandt, und mir wird klar, daß er mich vergessen

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